12.04.2022

Am neuen Ufer von Maastricht: Herr Loellmann, der junge Bauherr, der aus der Zukunft kommt.

Maastricht. – Es stürmt heftig an diesem Abend, die Wellen überschlagen sich vor seinem neuen Zuhause, das wie eine Reihe von Leuchttürmen oder eine rostrote Kathedrale am Meer über den dunklen Vorplatz flimmert. Es gibt hier keine Wellenbrecher oder Dünen, die Boote sind Autos, die über den „Lage Frontweg“ flüchten. Ein paar letzte Fußgänger suchen nicht den Strand, sondern Schutz im „LABgebouw“, einem freien, alternativen Kulturzentrum, das weit weniger imposant auch im Schatten des riesigen Schornsteins liegt, der längst keine Funktion mehr hat. Außer als ganz altes Wahrzeichen und neues Signal, auf dem mit weißer Farbe „Het Radium“ gepinselt wurde. Wenn es Nacht wird an diesem See, gehen die Strahler auf und der größte, neue Vorhang, den diese Stadt vorzeigen kann, öffnet sich. Und das Kraftwerk dahinter, das auch keines mehr ist, erhebt sich wie ein fixierter Tanker an der ganz normalen Kreuzung, die zur Randsiedlung oder zu den Weiten der Autobahn führt.

Der neue Tempel am Nordwest-Ufer des Quartiers, das nach der ägyptischen Sphinx benannt ist und mit deren Signet Millionen Keramikprodukte (vor allem auch Kloschüsseln) gestempelt wurden, liegt zwar am Wasser, aber auch weit genug weg vom ewigen Fluss. Von der Maas, also abseits eines auch klischeehaften Postkartenidylls, das sonst gerne von den Ständern roman-tisiert, auch wenn es wirklich schön ist.  Rätselhaft schwimmt er dort auf dem rasierten, teilweise wieder frischgeteerten Ruinenfeld einer Industriebrache, die einst eilig verlassen und ihrem langsamen Sterben überlassen wurde. Ein konstruierter Monolith, den der Wind, der Regen und Desinteresse über Jahrzehnte abrieben. Auf einem verlorenen Platz am Rande, der geisterhaft dahinsiechte. Eine verbotene Zone, die nur noch mit resistentem Grün und mit Graffiti-Ranken an toten, verblasten Mauern bewachsen war.   

Rundherum fassen noch Bauzäune die gewaltige Anlage ein, die deponie-hohen Schuttberge, die es hier noch vor wenigen Monaten gab, sind wie Sand, Staub und alte, triste Tage weggeflogen. Der Weg hinein über die neu-verrostete XL-Hintertür schlängelt sich durch die akribisch angelegten Hügel des Gartens, große Jungbäume wurden schon mal punktgenau eingepflanzt, ihnen werden noch Palmen folgen. Im Neo-Park, der tropisch atmen soll, weit weg von den Tropen. Die Einfassungen der Beete sind geschwungen wie eine Skaterbahn. Als solche ist sie auch gedacht. Es gibt keine Klingel, keinen Griff an der frisch-designten Haustür in Torformat. Entweder man stemmt sie mutig auf, oder man muss mit ihm verabredet sein, wenn sie sich öffnen soll.    

Käme jetzt nicht ein Hupen von der Straße, könnte man eine Dau aus einem  SciFi-Roman erwarten, die vorübersegelt. Vielleicht von den bekannten, typischen Brücken, Straßen und Häusern vom Kai des Maas-Boulevards kommend, hinüberschaukelnd ins Zukünftige – von Maastricht. Das Bosscherveld, wo sein gebautes Raumschiff herausragt, liegt etwas außerhalb davon und von der Stadtmitte. Wie Gizeh vor Kairo auch. 

Man schreitet über frische Pfützen und neue Pflastersteine, davor und dahinter rauscht auch die Vergangenheit der Stadt, die nur deshalb an diesem Fluss gegründet wurde, weil ihre Gabelung in der mythischen Vorstellung als Heiliger Ort vorherbestimmt schien. Die neue Insel im Stadtplan, nur ein paar hundert Meter nordwestlich vom historischen Marktplatz, unterhalb sowie südlich der Noorderbrug gelegen, kommt aus diesen Schichten der Geschichte, mehr aber aus der kommenden Zeit. Ihr Gestalter, der vorwegnimmt und überspringt, ist der 38-jährige Designer Valentin Loellmann. Auch eine Art Fabelwesen mit vielen, gerade auch anderen Wesenszügen, Ideen und Kräften. Er hat aber nichts Splitterhaftes an sich – und er macht auch keine halben Sachen. Loellmann ist in Richtung Rückwärts und vorwärts nach „New Maastricht“ aufgebrochen. Und im „Sphinxquartier“ gelandet, das noch vor wenigen Jahren eine Stadtwüste auf den Scherben eines ehemaligen Keramikindustrie-Geländes war, in dessen Malocher-Kammern einst Zehntausende schufteten. Es war niemand mehr da, als er ankam.

Auch jetzt sitzt er allein in seinem Büro, sein Team hat sich schon in den Abend verabschiedet. Er schaut hinaus – durch Fenster, die so hoch und spektakulär wie aus einem Kirchenschiff lugen – zum künstlichen See (…nicht nur ein Teich), der 500.000 Liter Leitungswasser fasst. An einem Office-Tisch, der mehrere Altare misst, wie aus einem Baum geschlagen scheint – und wohl ewig bearbeitet, geschliffen, gerundet wurde, schwer wie ein Steinquader ist, den man nur auf Rollen bewegen kann.

Der junge Bauherr, der innerhalb von 20 Monaten aus einer Mega-Ruine, die eigentlich zu nichts mehr taugte und an die sich auch kein anderer Investor wagte, seine neue Zuhause-Fabrik erschuf, ist ziemlich erschöpft, aber klickt gleich die Konzeptbilder an, die in die nächste Fiktion seines privaten wie unternehmerischen Planeten reisen. Da draußen – das könnte auch der Hudson River sein. Oder die Themse, die Spree – oder der Bodensee, von dem er einst aufbrach, um in keiner Metropole Design zu studieren, sondern in Maastricht. Kurz nach dem Studium gründete er am Volksplein sein erstes Studio. Kein bescheidenes, auch schon eher ein großes. Das war seine erste Vision, es folgten noch weitere, jetzt hat er den Maßstab noch um ein Vielfaches potenziert. Ganz groß(artig): An der neuen Biegung der Maastrichter Stadtentwicklung – kann man von außen nun orakeln, was es ist.

Drinnen wandelt man wie durch die neo-designte Schauwelt und die Realräume eines voraussehenden Architektur-Magazins. In sein Haus passen mindestens 20 Häuser. 3 Etagen, rund 3000 Quadratmeter. Man könnte es eine Schreinerei nennen, die auf der Parterre-Ebene schon verwirklicht wurde. Es ist tatsächlich eine, aber als ein 5-Sterne-Werkraum, den man üblicherweise eher als Edel-Loft bewohnen dürfte. Für Loellmann ist das normal. Als Besucher, der kurz auf die Terrasse tritt, die unterhalb des Wassers liegt, um etwas imitierte Meeresluft zu schnuppern und den surrealen Ausblick zu genießen, kann man sich exterrestrisch vorkommen. Loellmann nicht, es ist ja auch der Hausherr, der aus der Zukunft kommt. 

Die alte „Cokes- und Gasfabriek“ hat er vor rund zwei Jahren für 500.000 Euro von der Stadt Maastricht gekauft. Eine überdimensionierte Schrottimmobilie, die er äußerst mobil und in Rekordzeit verwandelt hat: die neue Schreinerei für seine Design-Möbel, die er als Luxusgüter weltweit an Galerien und zahlungskräftige Endkunden verkauft, läuft, staubt und glänzt bereits. Die Künsterlofts in der 1. Etage sind ebenfalls schon bezugsfertig. Alles Weitere, etwa die Bel-Etage ganz oben, ein geplantes Restaurant und eine Bar, haben die Rohbauphase ebenfalls schon längst überschritten.

Andere würden jetzt vielleicht mal eine Verschnauf- und Denkpause machen, den Sonnenstuhl oder die Paddel herausholen. Loellmann nicht, Valentin rennt – und baut in konkreten Gedanken seine Raumstation weiter. Die Pläne sind schon gezeichnet: „Zur Straße hin, also am rechten Flügel des Gebäudes, sollen sich Tropenhäuser anschließen, die auch als Kunst- und Begegnungsräume öffentlich zugängig sind, verbunden mit gastronomischen Angeboten. Hinter dem Zentralgebäude könnte sich zudem zukünftig ein internationales Kulturzentrum entlangstrecken, quasi als kreatives Headquarter mit globalem Anspruch. Endgültig fixiert ist noch nichts. Zudem wären damit auch weitere erhebliche Investitionen verbunden. Ich will allerdings nicht, dass hier große Investoren oder Stiftungen einsteigen…“.

Eine mögliche Alternative stellt für ihn die Verlagerung des Projektes ins Metaverse dar. Die Unterstützung und Teilhabe von weltweiten Sympathi-santen könnte über den Bezug von „Non Fungible Tokens“ („NFTs“, „nicht ersetzbare Wertmarken“) erfolgen. Die virtuellen Anteilseigner erwerben eine Art digitale Eigentums- und Echtheitsnachweise. Sie kaufen quasi Pixel. Es ist erstmal nur eine andere Idee zur Finanzierung, die allerdings schon ziemlich weit gereift ist. Allerdings mit Einschränkungen und auch noch mit genügend Fragezeichen verknotet, wie Loellmann vorsichtig, aber auch wieder pionierhaft betont: „Es ist nicht nur für mich Neuland. Kann es, wird es funktionieren? Welche besitz- und finanzrechtlichen Konsequenzen wären damit verbunden? Aber es ist eine spannende Option. Gerade auch, um das Gesamtprojekt auf eine breite, gleichberechtige und auch globale Basis zu stellen. Etwa auch so, dass man die Beteiligungssumme pro Person auf einen Standardwert beschränkt. Gleichheit in den Anteilen, gerade dann auch in ideeller, sozialer und kreativer Hinsicht.“

Loellmann gibt nun zu, dass er doch mal eine Pause braucht. „Ich glaube, ich werde mich jetzt doch mal irgendwohin absetzen, um mal ganz in Ruhe nachzudenken.“

Das wird, schaut man sich seine bisherige Willenskraft, Umtriebig- und Andersartigkeit an, eher auch ein intensiver, außergewöhnlicher Trip werden. Die Wüste, vielleicht die ägyptische, könnte ein passendes Ziel sein. Wegen der Sphinx, oder auch wegen jenen, die allein in sie (und in sich) gingen, um als Propheten – und/oder mit einem neuen Coin – zurückzukehren. Z.B.: nach 40 Tagen. Wahrscheinlich zu lange für ihn, er wird die Zeit verkürzen, schneller enträtseln. Und bestimmt die neue Stufen finden – bevor er wieder am eigenen, am anderen, auch am öffentlichen Ufer steht, eher still weitermacht – und doch ruft

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