Oder: das Großartige/Meisterliche in seinem Foto von einem Weg im Wald und in seiner aktuellen Ausstellung in der Bischöflichen Akademie (Aachen)
Es ist nur ein Weg im Wald.
Es ist nur ein Weg – in einem Wald, der so verläuft, wie viele andere Waldwege auch. Er entspringt aus dem Nichts. Woher er kommt, ist verdeckt, liegt irgendwo dahinter. Er fällt in einer sachten, mittellangestreckten Kurve flach ab, um dann wieder leicht anzusteigen. Durch eine Art Lichtung. Da unten hin und wieder sanft hoch. Dahin, nach vorne, wo er sich auch wieder verbreitert, wieder dunkler wird und dann ganz verschwärzt ist. Da unten, fast in der Mitte von allem, steht (und geht) auch jemand. Am tiefsten Punkt. Der Weg, der Wald, der Wuchs – liegen, schweben und schwärmen in der Skala Grau bis Schwarz. Darin, daran, darum am Weg: Kleine Büsche, größere, nachwachsende Bäume am Rand – mit üppigem Blattwerk. Der Blick da hinein – geht von oben nach unten. Vorbei an einem massiven, schwarzen Baumstamm, der vorne ganz rechts steht. Und an einem weiteren entlang, der links leicht hineinversetzt ist. Weiß ist nur der Kopf von diesem Jemand – da unten. Und der Himmel dahinten – oben links, der nur durch dünne, lange Baumstämme durchschnitten wird. Es ist nur ein Weg – in einem Wald.
Und & aber.
Und & aber: Der Weg ist auch ein Bach, eine Brücke oder eine schwingende Schau-kel. Vielleicht sogar mit Brettern. Als eine Bühne. Als Trapez. Das leichte Weiß, das manchmal auf die Blätter fällt, ist Schnee. Tatsächlicher, oder künstlicher. Oder beides. Die Bäume und Sträucher sind aufgeschäumt. Ein Sternenhimmel. In der klarsten Nacht. Man sieht natürlich nicht jedes Blatt – eines von Tausenden oder gar von Hundertausenden. Aber man glaubt es zu sehen, zu fühlen und berühren zu können. Und dann ist es auch so. Immer und überall. Als kreisten hier unsichtbare Lupen, also würde das Unsichtbare sichtbar und das Unberührbare zu fassen sein. Man könnte es jetzt auch noch riechen und rauschen lassen, aber das würde die Sinne überfordern. Es bleibt bei den Augen und beim Blick, das reicht, das ist überreich, überflutend und kontemplativ genug.
Man gleitet hinunter – und fliegt wieder hoch. Aber angstlos, man ist Teil davon und schwebt darin. Wenn man hineinblickt, geht man diesen Weg mit. Auch andersherum, verspiegelt. Man geht diesen Weg genauso zurück wie hindurch und nach vorne. Es ist ganz großes Theater. Ein Paradies, ein Knast, eine Höhle, ein Balkon oder eine Klippe. Es ist auch eine Kunstaustellung der Stile – und mit Verweisen darauf. Ein Bild von einer Kunstaustellung, das aber nicht gestellt ist. Oder doch? Eine unendliche Reise im Moment. Ein endlicher Moment als ewige Reise. Ein Stillleben, das in nichts still ist, sich unentwegt bewegt – und doch auch Vakuum, Vitrine und Vase ist.
In einem goldenen, eigentlich farblosen Schnitt: Es ist wie ein schwarz-weiß-grauer Vorhang vor einem gleichen Vorhang, der aufgeht, der auf- und zugeht. Wirklich, kosmisch, stroboskopisch. Es blinzelt ständig, ohne dass man blinzelt. Es ist eine Kapelle, ein Aquarium, eine Großstadt, eine Oase, eine Einöde, ein Meer oder ein Hinterzimmer. Offen wie frei, verschlossen wie einsam, ein Monolog oder ein Stimmengewirr. Minimal, maximal. Natur wie Labor oder Kino. Mikro und Makro. Wie gemalt, wie überhaupt nicht gemalt. Orientierend wie auch verwirrend. Loslassend wie magnetisch. Niemand sagt darin etwas, aber es ist alles gesagt. Es gibt Fluchtpunkte darin, aber nichts flüchtet. Es gibt keine Scheinwerfer darin, aber alles erscheint. Man kann den Himmel nur erahnen, aber alles ist ein Himmel. Es ist ganz leise, aber auch ganz laut.
Fußgängerzone, Brücke oder Mond.
Der Jemand da unten könnte auch in einer Fußgängerzone stehen, den ersten Schritt von einer Brücke, vor die Haustür oder auf den Mond setzen. Es gibt ihn, er war bestimmt da, er stand da, er ging da. Zuerst oder zuletzt. Oder dazwischen. Er kam irgendwo her. Wahrscheinlich aus dem dunklen, schwarzen Loch des Weges, das hinter im liegt. Oder aus dem Licht, dem Hellen davor. Er wirkt wie angewurzelt, wie erstarrt. Aber auch so, als könnte er auch direkt nach oben schießen, sich hinaus katapultieren, die Szenerie verlassen, ein wandernder Astronaut oder ein rastloser Eremit sein.
Man kann seine Augen nicht sehen, aber Du weißt, dass er Dich direkt anschaut. Direkt zu Dir – oder auch zu jemanden, der hinter oder neben Dir steht. Das kannst Du auch selbst sein. Vielleicht auch in Dein Zurück hinein. Oder in Dein Weitergehen. Er und Du sind aber gerade fixiert. Im ruhenden Motiv, das sich aber bewegt, wenn Du es willst. Dieser Moment ist sehr bewegend. Er könnte aber auch eine Spiel- oder Mini-Figur sein, die nur hineingesetzt wurde. Zwischen die Stelen, Säulen oder Baugerüste der Bäume. Er war ja wohl dort, Du aber nie. Du bist nur der Betrachter, am weitesten weg davon. Und doch habt ihr euch gesehen und getroffen, seid diesen Weg gemeinsam gegangen, standet dort auch still. Im Moment und in seiner Aufnahme davon. Belichtet, aufgenommen und entwickelt/gedruckt, aber eben auch: tatsächlich.
Es ist ein Foto von Dieter Kaspari.
Es war nur ein Weg – im Wald, den er gefunden und festgehalten hat. Es ist alles ein Foto von Dieter Kaspari (75). Eines von 23 (insgesamt sind es 60 – mit den Montagen/Kollagen), die zurzeit in der Bischöflichen –Akademie (Leonhardtstraße 18-20) im Rahmen seiner Ausstellung „…zwischen laut und leise!“ gezeigt werden. 23 (plus 37) Fixpunkte – aus einem gewaltigen, beeindruckenden Panorama seines fotografischen Schaffens in den letzten 50 Jahren und mehr. Als großer Meister seines Faches – als Jäger und Sammler, Entdecker, Archäologe, Naturkundler, Maler, Kunstgeschichtler, Musiker/Komponist und Chronist mit der Kamera. Man könnte jedes Foto von ihm, das dort hängt, so intensiv beschreiben, wie eben jenes vom Weg im Wald. Man muss es nicht. Jedes andere kommt diesem Großartigen auf seine Art gleich. Man würde sich nur wiederholen, was Kaspari aber nie tut. Außer in einem: Im Meisterhaften seiner Perspektive, Motive, Komposition und Technik.