„Isle of Art“, 5. bis 7. August 2022, am Ludwig-Forum
Ein Nachbericht, etwas anders.
Das Kind ist von weither angereist bzw. angeflogen. In Gedanken und in Analogie aus Japan. Wie ein junger Vogel, der sein einmaliges Leben beginnt.
Einzigartig, einzig-artig
Es geht um`s Liebevolle – und im mitgesagten, glückbringenden Lebenssegen, um Hoffnung. Schon im Namen angelegt, dem etwas besonders Wohlmeinendes anhaftet. Als kleiner Mensch, als KIMIKO z.B., in dessen Wiege, Herz und in seinem weiteren Leben auch seine Einzigartigkeit mitgemeint, -geschenkt und prophezeit ist. Im Namen schon eingepflanzt, original im Japanischen – und über 9000 Kilometer entfernt als kulturelle Festivalmarke gleichsinnig und –herzend nach Aachen übertragen. Dann auch als Botschaft für etwas Wohlklingendes. Anders, aber im selben Omen bestimmt, auch irgendwie kulturell angeeignet, aber auch gleich schön erwartungs- und klangvoll, dass es etwas Besonderes, etwas Unverwechselbares, etwas Behütetes sei – und damit auch ein glückliches Schicksal haben möge. KIMIKO – hier wie dort.
Zur Insel: Auf einem neuen Eiland neugeboren, gestrandet wie gestartet, einmal im Jahr für drei lange Tage an der Aachener Jülicher Straße. Zum KIMIKO-Open-Air, zur „Isle of Art“, im Innenhof und an den hängenden Gärten im Park des Ludwig-Forums, in dem drinnen (fast) die ganze Welt in Rahmen und Objekten nicht immer, aber meist dann auch einen letzten Raum, ein finales Zuhause gefunden hat.
Das KIMIKO, angekommen an einem Museum, an einer Art Planetarium auch – an einer gestifteten Anstalt der Musen, an einer Galerie und Galaxie der Bildenden Kunst. An einem Weltraumbahnhof derselbigen, obwohl von hieraus noch niemand in den Orbit geschossen wurde. An einer Art Tempel auch, der hier seit 1991 der Sitz der neuen Musen ist, die in der alten Mythologie ja meist auch singende wie tanzende waren. Mit dem KIMIKO kamen dann hier an der Jülicher Straße – ab 2015 – andere Musen angereist, um für ein Wochenende zu bleiben. In diesem Jahr hießen sie etwa Jochen, Keziah, Roy Bianco, Karl Jakobi und Soulrabbi. Das KIMIKO taucht(e) auf, wie damals, ganz damals die „Neue Galerie“, unweit von hier. Als Insel.
Apollo 1970: Die Landung der total anderen Galerie
Damals, so um 1970, war es ein ganz heißes Ding, mit dem es plötzlich nationale/internationale Aufmerksamkeit regnete – auf die Provinz. Ein Boot, das wie eine Kapsel vom Himmel fiel: Wolfgang Becker, der Gründungsdirektor, berufen aus Köln, war der Regenmacher. In anderer Mission. An der Landungsbrücke in der „Alten Redoute“ an der Komphausbadstraße. Und: Nach Becker kam keine/keiner mehr – wie Becker. Becker war neu, die Galerie war das Neueste. Das blieb auch lange so.
Fast genau 300 Jahre danach: 1670 wurden hier die ersten Steine gelegt. Es war ein Gasthaus, wie viele in der Straße, die von Badegästen lebten. Zuerst als „Roter Löwe“, später als „Maison Bouge und als „Dubigks Grand Hotel“. Schon ab 1768 auch als Kulturstätte umgewandelt. In Folge genutzt als Lesekabinett, als Konzert- und Ballsaal, als Spielbank, als Galerie für „alte Meister“ und gar als Sitz der „Gesellschaft zur Beförderung der nützlichen Wissenschaften“. Ein Haus der gehobenen Bürgergesellschaft – für die Boheme. Und für Prominente – wie etwa für Friedrich den Großen. Als Sitz auch des „Museumsvereins Aachen“ und später der Sammlung von Berthold Suermondt. 1901 wurde die „Alte Redoute“ abgerissen und die „Neue Redoute“ entstand. Im „Alten Kurhaus“ muss es noch ziemlich nach Mittelalter, Barock und Klassizismus oder so gestrahlt oder gemüffelt haben, als Becker & Co. einzogen. Mit Neon-Buchstaben und –Signalen. Mit anderen Bildern im Koffer und im Kopf.
Man darf es nicht vergessen: Die „Neue Galerie – Sammlung Ludwig“ an der Komphausbadstraße war nicht nur das erste Museum von Peter Ludwig und seiner Frau Irene, sondern eines der ersten der Gegenwartskunst in Deutschland überhaupt. Es war auch ein Politikum, das konservativen Widerstand, teilweise massiven, zur Reaktion hatte. Nicht umsonst gründeten sich die „Freude der…“ aus einem Kreis von RWTH-Professoren, um einen Schutzschirm zu bilden. Die erste Ausstellung „Klischee – Antiklischee“ vor über 50 Jahren ist im Thema heute wohl so aktuell wie damals, vielleicht noch gegenwärtiger.
Wie die Pop-Art zu den Printen kam
Gefühlt und gesehen kam New York nach Aachen – und die POP-Art zu den Printen. Warhol, Lichtenstein…und mit ihnen die Moderne, die man schon in den Schaufenstern unter der neo-klassizistischen Kolonnade blinken sehen konnte, wenn man als Kind zufällig staunend davorstand, wie vor den Disney-verzauberten Kaufhof-Scheiben im Advent. Nur anders, ganz anders. Solch eine Impression vergisst man nie. Und sie war genau da auch ein Initial, indem man auf einen anderen Planeten katapultiert wurde, während man sich nebenan im „Curry-Palast“ eine Fritte mit Sauerbratensauce holte – und man später im Leben dann auch kaum eine Galerie ausließ, wenn man durch die Welt (und ihre Kunst) reiste. Im „Curry-Palast“ gab es übrigens auch die ersten Selbstbedienungsautomaten mit Klappen. Das war Zukunft. Willkommen in der Moderne – hier die fertige, künstlich warmgehaltene Fritte, dort die Kunst-Dose wie -Dosis. Das war, wenn man aus Vetschau kam, wie ein Ausflug mit der Buslinie 27 nach Manhatten, das man bis dato (auch) nicht kannte.
„Kraftwerk“ auf Beethoven – Aktionstrip auf Moos, eingerahmt von Kochsalz
Drinnen, so las man später nach, lag etwa die Aktionskünstlerin Ulrike Rosenbach im großen Saal auf Moos, schlief dort, eingerahmt von Kochsalz, eingespannt in die Kreisbahn eines Videosatelliten. Das erste Konzert dort spielte Ralf Hütter von der Gruppe „Kraftwerk“. Zu einer Zeit übrigens, wo man ihn und sie, den/die später Weltberühmten, nicht oder kaum kannte. Ihre „Autobahn“ kam erst 1974 auf die Welt. Weit vorher aber, am 19. Dezember 1970, intonierte Hütter in einem provisorisch eingerichteten Beethovenzimmer (u.a. von Mauricio Kagel) – als Teil des Filmes „Ludwig van“ zur Ausstellung „Beethoven! 1770 – 1970“. Als Grundlage diente der Gruppe, die nicht nur den Pop, sondern die Musik revolutionierte, die Sonate a-Moll, op. 132.
Die Galerie von damals war ein Komet, der nicht nur in der Bildenden Kunst himmelsleuchtete, sondern immer wieder auch mit Musikkunst verschmolzen war. Pop-Art schon, Warhol vor allem, war und ist auch ohne neue Musikwelten nicht denkbar. Becker, der Kunsthistoriker, war vorher Leiter der Werbeabteilung des Kölner Verkehrsamtes gewesen. Nicht deshalb, aber sowieso war die „Neue Galerie“ auch die beste neue Werbung, die Aachen überhaupt geschenkt bekommen konnte. Weil sie nicht nur in, sondern weit vor der Zeit war. Wie die Kraftwerker z.B..
Das ist lange her: Kraftwerk z.B., die mittlerweile in allen großen Museen der Moderne hängen, stehen und auch spielen, waren noch nie im LuFo. Auch nicht im Rahmen ihrer 3D-Tour (seit 2018), deren Eintrittskarten wie Mini-Siebdrucke von Warhol begehrt waren und sind. Lou Reed, also der von „Velvet Underground“ und aus der Warhol-Factory, war 2008 tatsächlich mal mit seiner Frau Laurie Anderson zu „Stories from the Elevator“ in der Kirche St. Paul in der Jakobstraße. Aber bis zum LuFo kamen er und sie nie. John Cale, ebenfalls ein Ex-Velvet, war noch vor wenigen Wochen in Köln. Dass man sich mal vor Jahren mit ihm unterhalten durfte, ganz weit weg von Aachen – und man an diesem Foto mit ihm hängt, hat ebenfalls mit dem Erlebnis als Aachener Junge zu tun, der sich zur Neon-Reklame an den Schaufenstern (siehe oben) gegenüber Horten verirrt hatte. Und daran klebte, sah und hörte. Immer weiter, gerade auch von hier aus. Neon kommt von neo (neu).
Das LuFo zieht zum KIMIKO (oder umgekehrt) so insgesamt rund 5000 Besucher an den drei Tagen an.
Der Mini-Airport
Und draußen, davor und darin: die Angekommenen, die Hin- und Fort-Reisenden, meist ohne Trolleys, aber mit Tickets, mit denen sie auf die Kunst warten und anders einchecken. Mal weniger, mal mehr, mal viel mehr wie an diesem Wochenende – am Anfang vom August. Wie an einem kleinen, versteckten Flughafen mit schönen Abflugzeiten und –zielen, mit ebenso schön variierenden Decks, Terrassen, Verwöhnliegen, Ausguck-Plattformen – und nur mit 1-Reihe-Sitzplätzen im Grünen, die alle zu ihm gehören. Ein Mini-Airport, den man auch deshalb nicht verlassen braucht, muss und will, ohne sich etwa gefangen oder zurückgelassen fühlen zu müssen. Grundsätzlich nicht, aber an diesen drei Vor- und Nachmittagen, Abenden und Nächten eben überhaupt nicht.
Die Ausnahme
Das KIMIKO ist hier nicht immer, nur ausnahmsweise. Als ein Besucher, als eine Art Hotel- und Reisegast. Als Gruppenreise, aktivistisch auch. Als Portal – von übergeordneter Bedeutung. Unter der Lupe und im Fernrohr. Ein „Musiktheater“ im Freien, indem sich die Fluchtpunkte zusammenziehen, faktisch und ideell – und so auch arrangiert und orchestriert ist.
Unter den Wolken oder unter der Wolkenfreiheit, die man so allgemein Kultur nennt – und wofür es keinen einzigen, anderen Namen gibt. Es sei denn, man versucht es mit „alternativ“ und scheitert in der Sackgasse der Kultur-Apartheid. Indem man unterscheidet: Zwischen oben und unten, zwischen der Opern-Premiere und dem großen Vorhang, der auch vor einer Band aus dem Keller aufgehen kann. Das KIMIKO beweist, dass eine solche Klassengesellschaft in der Kultur-Bewertung obsolet ist. Weil: Das KIMIKO ist einer der wenigen Echoräume, indem überhaupt – so unterschiedlich und sich so überschneidend – widerhallt, warum, wo und wohin dieses Aachen klingt. So an sich, oder anders, meist beides – mit musikalischen Tatsachen, Perspektiven und Narrativen, die sich stilistisch auch abgrenzen, aber mehr noch ineinander übergehen, meist auch gleiche Wurzeln, Quellen und Landschaften haben. Aus- und hingeleuchtet, auch ausgesät in die Garten- und Hof-Arena des LuFos. Das KIMIKO ist auch ein Bild, ein Objekt und eine Skulptur. Allein und im Gesamten, also als Sammlung.
Der Flucht-und Ausgangspunkt
Es ist aber auch ein Fluchtpunkt an sich: Nur als ein temporärer Hafen. Ein Zug, dessen Schienen immer wieder genügend neu angelegt werden müssen. Als Saison-Termin. Es hat nicht einmal Räder unter sich, mit denen man vielleicht da oder dort umziehen und umparken könnte. Auch der „Campus of Art“ ist nur ein Ableger – unter etwa gleichen Bedingungen. Als umherziehender Zwilling.
Das KIMIKO. Es ist ein Flieger, der überaus mobil ist – und der dann aber eigentlich nur kurz landen und abheben kann und darf. Am Fallschirm auch, der z.B. auch durch Schallgutachten und Restriktionen hindurch versucht, irgendwie einen realistischen, aber gleichzeitig auch spannenden, breit wirkenden Boden unter die Füße, die Bühnen und das Publikum zu bekommen. Kaum ist es da, ist es auch schon wieder weg. Verstreut, fast spurlos verschwunden. Wie ein Schatten-Airport.
Alternative rules
Wer keine Flughäfen mag, der kann sich dazu auch die Metapher eines Nestes mit Schokolade (echt, künstlich oder künstlerisch) von Dr. Peter Ludwig, ehemals größter Kunstsammler auf der Erde und Ex-Produzent aller „Schogetten“ und Pralinen-schachteln (der Firmen und Marken Monheim/Trumpf), eine versteckte Kultur-Marsbasis in der Nachbarschaft oder einen expressionistisch-modernen Multi-Sommergarten an einer gemalten Galerie-Tankstelle im Art-Deco-Baustil mit Campbell-Dose versinnbildlichen. Alternative rules. Fluxus – heute wie damals. Mit älteren und „Neuen Wilden“ auch.
Früher gingen von hier aus die verpackten Regenschirme von „Brauer“ überall hin, meist farbig rund um den bunten Globus. An den Fächerpalmen liegend, die hier tatsächlich ab und zu aus den normalen Büschen lugen, hinauf zum meterhohen „Ballerina Clown“ im Vorhof oder durch die Blätter der großen Bäume, die man sonst viel zu selten besucht, kann man ins Träumen trudeln.
Die Botschaft
Eben ins und über das Wäldchen und den Park mit seinen schönen wie geschickt angelegten Plateaus, Zonen und versteckten Ecken hinausschauend, scheint es naheliegend, nüchtern anzunehmen, dass da oben gerade imaginäre Parapluies in allen Farben zurückflattern. So im Zwischenstopp, so als Zeichen – für das, was gerade unten – geöffnet ist und offen passiert. Vielleicht auch als Gruß und Botschaft im Überflug oder als Banner – hinter einem Globus mit angebundenen Fähnchen-Girlanden, die hier tatsächlich im „Creative Space“ verkettet von der Ästen winken. Vielleicht auch als Mahnung – in Zeiten, die nach neuem Gleichgewicht auf dünnen Gegenwarts-Fäden und -Seilen tippeln. Darum die alten und neuen Fliehkräfte zwischen Normalität, Utopie, Diskurs, Phantasie, Paradoxien, Ideen/Ideologien, Dystopie, Apokalypse und Alltag, auch zwischen Stille, Kontemplation, Unruhe und Lautsein.
Eine der ersten Ausstellungen in der „Neuen Galerie“ in den 70-ern titelte und protestierte: „Vorschlag an die Völker Europas, ihre Kriegsdenkmäler auszutauschen“. Dazu gab es Demos in Aachen, Lüttich und Maastricht. 1973 ist 2022, nur anders.
Die Balance
Das Gelände schon (mit und ohne Museum), das Vorgebrachte/Vorgetragene, die Darstellenden, die Macher, das Publikum, einzeln oder im Kollektiv – auch und gerade dieses Festival im Fundament und in der Totalen, alles hat hier neben Kreisen, Geraden und Seiten auch Kurven.
Man muss dabei gar nicht auf den überdimensionalen „Ballerina Clown“ als Zwitterwesen im Hofschatten schielen, der/die/das wie keine Figur in dieser Stadt den Seiltanz auf der Balance/Dysbalance symbolisiert, um es zu bemerken und abzuwägen. Alles hier ist eigentlich von der Waagen-Frage mit den zwei Schalen berührt – im Wunsch, Willen, Versuch und auch in der Freude, im Spaß wie in Ausrufe- und Fragezeichen zum Gleichgewicht.
Allein und zusammen, drinnen wie draußen, laut und leise, im Schall und in der inneren Besinnung. In allem: inhaltlich, programmmäßig, gewollt und/oder ungewollt dramaturgisch. Musikalisch, textlich, sozial, politisch, ökologisch, lokal/global, menschlich, nachbarschaftlich, haupt- und nebensächlich, essens- und getränkebewusst auch – mal selbstverständlich, mal natürlich, mal verkopft oder (nur) unterhaltsam.
Oder alles zusammen: Das KIMIKO steht so in der Balance, ist BI (von griech.: Zwei) in der einen Schale (von griech.: Lanx). Ein kleines Gleichnis dazu kann dann auch in einer Frage am Zelt-Café auf dem LuFo-Hügel zum angefragten, vielleicht auch zur gerade angesagtesten Cappuccino-Variante aufploppen: „Mit Kuh-Milch oder mit Hafer-Milch?“
Es geht gut
Man kann sich hier an seinen Erinnerungen, an seiner Liebe und an seinen Träumereien festhalten – und/oder an einem Refrain, an einem Song, am gemeinsamen Erlebnis, an der Atmosphäre, am Kennenlernen und am über-raschenden Wiedersehen, das sich hier oft wiederholt. Was man auch sieht: man kann auch ein Buch mitbringen, in Pausen auf der Wiese lesen und sich so behütet fühlen. Es geht am Baum, am Werbe-Sonnenschirm, auf der Treppe, auf dem mitgebrachten Hocker oder auf Graskissen, an und auf denen man ruht, während es und man sich bewegt. Das KIMIKO ist auch ein Karussell.
Es geht mit einem normalen Bier aus Krombach, mit einer vegane Frühlingsrolle (ursprünglich asiatisch, vorgerollt aber vom Restaurant in Aachen-Brand), oder mit einer BIO-Currywurst an einer Edelsauce aus Monschau-Senf und Indien-Curry, die aus Oche kommt, oder mit einem sozial-globalen Glas Wasser von der spanisch klingenden „Viva con Agua“-Initiative aus St. Pauli. Auch mit einer Fritte und Majo. Mit und ohne Tüte(n).
We are family
„We are family“ – im „Hyde Park“ vom „Central Park“ in Aachen-Nord, in dem man etwa am Sonntag, wohl auch ein inoffizieller Familientag, das Gefühl und das Wiedersehen nicht losbekommt, dass sich auch das „Frankenberger Viertel“ zum gemeinsamen Ausflug verabredet hat, also fast. „F4-Tage“: Auch Frankenberger Park-People parken im LuFo. Mit Kinderwagen, Decken, Spielzeug, mit Papa, Mama, Opa, Oma…mit Kind und Kegel, singelnd, im Double, Trio oder mit dem Freundesclub – und der reiselustigen Erwartung: Da sind wir dabei – zu einem heimatlichen Höhepunkt, Tamtam und Come Together, fast am Ende des Öcher*innen- Mittsommers, der sich ja schon recht bald für immer verabschieden könnte. Das KIMIKO und das Gute, Schöne und Warme daran – liegen so nah. Über, unter und auf dem Himmel von Aachen. Die eine und/oder andere Wahrheit auch.
Auf der Stelle um die Welt
Es stimmt ja auch. Wo kann man denn sonst so eine Weltreise auf der Stelle, auf Kisten, auf Gras, auf der Bank, auf einem Handtuch oder im Dauerstehen allein oder im Arm machen – nur ein paar Straßen entfernt, um die Ecke auf einem Sonnen- oder Schattendeck liegen, u.a. Post-Karten-Bilder erschnappen, die endlich mal die alt-verstaubten, ewig-reproduzierten Bildchen-Antiquitäten an den meist wackeligen Touri-Ständern ablösen könnten, und gleichzeitig nachmittags in Kingston (wegen Bob-Marley-„Sohn“ Sebastian Sturm & Band „Marley`s Ghost“), tief in der Nacht im Haarlemer Apollo-Theatre (wegen „Soulrabbi“), zum Sonnenuntergang in Lagos (wegen Keziah Jones), zur Apres-Italy-Party beim neo-schagerhaften Tänzchen und Küsschen am Brenner in Richtung Rimini (mit „Roy Bianco& den Abbrunzati Boys“), zur Zwischen-Meditation im ZEN-Koster auf Jazz- und Blues-Fusion oder Om-Wegen (wegen „RPM Komplott“), in der Meisterklasse der „Hamburger Schule“ (gefühlt in „Blumfeld“ – wegen Jochen Distelmeyer) und im Detroiter, Berliner oder exterrestrischen Techno-Club (u.a. wegen Kaali, Kurt Kontemporär und Karl Jakobi vom Aachener Krach-Kollektiv) sein.
Höre und tanze das KIMIKO
Höre und tanze die/den/das Deep House, Samba, Freejazz, Folk, Drum & Bass, Chanson, Protestsongs, Rave, Ethno, Progressive, Blues, Disco-Dub, Trance, Balkan-Beat, Free Jazz, Tech, HipHop, Minimal, Funk, Soul, Indie-Rock, Reggae, Neo-Soul, Techno, Latin, Deutsch-Pop und Ambient. Höre und tanze die/der/das KIMIKO!, als wären etwa Rosenmontag, Dein Straßenfest, Silvester am Lousberg…und möglichst alle guten, heißen Geburtstags-Happenings, Parties, Konzerte und Deine Tages- und Nachtausflüge dazu – nun und nur auf diese drei Tage gefallen, also als 33-Stunden-Non-stop-Geschenk komprimiert worden. Das KIMIKO ist auch eine Raupenbahn am Riesenrad, an dem es keine Nieten in der Trommel gibt – aus Musiklosen.
Lokal
Am Weltempfänger, der auf diesem Park wieder mal sanft aufschlug, gewollt niederkam, um etwas zu bewegen, Signale zu setzen und zu senden. Zudem verkabelt mit einem der besten Lokalradios, das jemals live und draußen auf der Bühne stand – in, über und rundum AC. Vor allem auch, was die elektronischen Sphären auf der „Electro Stage“ vom Krach-Kollektiv betrifft. Mit einem großen, goldenen Drehknopf versehen. Richtig und zurecht – für die Qualität/Kreativität und für die Aufmerksamkeit von jenen und für jene, die eine kürzere Anreise haben. Weil…sie von hier kommen, also zuhause sind, und von hier aus machen, wirken und tun, eben aus Aachen und der Region und weiter heraus: wie etwa auch der kongeniale Mr. Lofi (alias Klaus Niessen), wie Grundrauschen, wie die soul-schöne KAT oder Markus Bartz & MAKKE z.B..
Nebenbei fällt noch ein Plakat zur anstehenden „Krach-Parade“ ins Auge und Ohr, die nächsten Samstag wieder durch die Stadt zieht, um auf den Wert und die Bedürfnisse der Aachener Kultur- und Clubszene aufmerksam zu machen. Für die Kultur von oben, von der Seite und von unten. Den Vorläufer des Demo- und Protestzuges hat er erfunden: Kristof Mittelstädt. Als „Macht mal Lärm in dieser Stadt“. Schon im Mai 2014 – nachdem in den „Aachener Nachrichten“ ein Artikel über das Bühnen- und Clubsterben in Aachen stand. Es folgte eine Podiumsdiskussion zum Thema im Haus Löwenstein – u. a. mit Matthias Roeingh alias Dr. Motte, dem Erfinder der Love-Parade in Berlin. Acht Jahre später muss immer noch umhergezogen und gepilgert werden. In Aachen.
Global
Von Freitagmittag bis Sonntagabend ist die Welt hier in Ordnung. Man kann es für die Szenerie eines spontanen Strandes mit Lichtungen und Klippenstufen im natürlichen Kunst-Wald halten – mit Spazierwegen und Stegen, die ein Optimist angelegt hat. Mit Sonnenliegen und Picknick-Decken, die hierfür erfunden wurden. Vor Zelten, Wohnmobilen und Bühnen von tatsächlichen oder Teilzeit-Nomaden, die als Artisten hier ihre Wasserstelle finden, verteilen und spenden. Von Auftritt zu Auftritt. Von Kurztrip zu Kurztrip, die allerdings – in kulturellen Meilengutscheinen summiert – eine Langstrecken- und Fernreise ergeben. Dosiert, in Etappen. Das KIMIKO ist auch ein Roadmovie.
Karl Jakobi, ich will ein Lied und/oder ein Kind von Euch
Manchmal geht hier auch ein leichtes Windchen, meist weht aber Applaus gen Bühnen-Klippe und Himmel. Oder herrscht anständige Stille wie bei einer Yoga- oder Freiluftmesse, wenn etwa bei den beiden von „Karl Jakobi“ (ebenfalls wieder vom Krach-Kollektiv) der alte Perserteppich im ultra-grünen WG-Wohnzimmer vor ihnen zum fliegenden wird. Sobald die Dioden angehen, der Laptop elektrifizierte Loopings macht und über die Keyboard-Tasten improvisiert wird, sagt niemand mehr ein Wort, aber alle tanzen – stundenlang. Totale Andacht unter der Disco-Kugel, die wirklich im Baum darüber hängt, die sich nicht rührt, sich aber in allen Köpfen dreht, treibt und transzendiert – zur deutlich anderen Ex- oder Aixkursion, astronautisch geerdet auch an der Fauna und Flora rundherum. Vielleicht auch am Rettungsring, der an der DJ-Bar baumelt.
Jeder für sich – und „Karl Jakobi“ für uns alle: Wer sich jemals fragen wollte, was „Sound of silence“ eigentlich meint, hätte miteinsteigen und mitsegeln sollen: Zwei, die über die Minimal-, House- und Techno-Nestschale kreisten – und um ihre Sterne. Hin und wieder zurück – in so 120 Minuten, eigentlich aber unendlich gemixt und gesampelt. Aus deren Cockpit und kosmischem Schlauchboot dann auch solche Zeilen mitklangen. Wie etwa: „…morgen früh – oder ab und zu – werde ich einen leichten Koffer packen, ein bisschen viel Geld abheben, ohne Abschied verreisen. Es müsste gar nicht weit sein. Ein anonymer Ort, oder ein Hotelzimmer – ein paar Straßen weiter. Dort würde ich ein neues Leben zu leben beginnen.“ So hat glückliches, melancholisches Reisefieber, das Intermezzo im Weg- und Ankommen, in einer Note zu klingen. Groß-artig.
Und: Wenn Gänsehaut ein Lautgefühl wäre, würde man jetzt den tosenden Jubel – im Stage-Diving oder in der glücklich vereinten Ohnmacht – aus allen Vogelstimmenplatten gleichzeitig hören. Ist es, wenn man im Weltraum auf Tannennadeln tanzt, wirklich noch ein Tänzchen? Ja, anzunehmen, total schwerelos, also unbeschwert. Heiliger Krach, verheißendes Flirren und wundersame Dusche an dieser Küsten-Bartheke auf Separee-Größe – im und vom Kollektiv. Ihr seid KIMIKOase. So ist es.
Der Aachener Garten
Nur eine Fatamorgana? Es kann auch an den Stufen liegen, die man rauf und runter wandelt, eilt oder gar tänzelt. Oder schon: An der Topografie des Geländes – von einem der schönsten, offenen, öffentlich zugängigen Innenhöfe, die Aachen überhaupt hat, hinauf zum Wäldchen, wo sich mit den Sounds der natürliche Staub am Boden magnetisiert, hindurch und hinauf zum Plateau, dessen Wiese auch noch so praktisch abfällt – zum Blick über die Skulptur-Wellenbrecher aus Beton hinunter und hinaus auf die Bühne, von der die Wellen kommen.
Wenn es einen „Englischen Garten“ gibt, dann sollte dies der „Aachener Garten“ sein. Auch ohne Wasserlauf. Ein idealer Ort, einzig-artig: als Balkon-Etage der Stadt – für alle. Zwar ohne imposanten Ausblick, aber mit einem großen Rahmen und Fenster für Durch- und Einblicke. Oberflächlich kulturelle, darin und darunter noch ganz andere – und mehr davon.
Gleich geht`s auch weiter, aber:
Die Geburt des Festivals namens KIMIKO war 2015, nachdem der „Jakobshof“, die Kernheimat der Aachener Kultur-, Konzert- und Clubszene dem Erdboden gleichgemacht worden ist. Der schnelle Tod der Institution an der Stromgasse kam nach dreißig Jahren Existenz, Zusammenleben und Familiengefühl – als zentrale Multi-Großraum-Wohnung der Aachener Kultur, die man ab-, auf- oder seitwärts wertend gerne als alternativ markiert(e). Was nicht nur im Vergleich mit einer Spezies – etwa Vogel/Vögel (siehe ganz oben) – eine nicht nur total schräg verklemmte, sondern auch eine niemals passende, dumm diskriminierende wie auch abwertende, zerzauste Schublade ist. Ein Vogel ist ein Vogel. Gleichgültig, wie und wohin er fliegt, wie er sich nährt und Schönes wie Notwendiges absondert, also wie er heraus- und ankommt. Manchmal kommt die unbestimmte Bestimmung im und des Andersseins von der anderen Seite, oder von der eigenen.
Das Ei mit E- und U-Kultur
Z.B: Zwischen hohen, also wirklich E-rnsten, und U-nterhaltsamen, also anderen, irgendwie auch niedrigklassigeren Vögeln zu unterscheiden und zu werten, ist ja auch kein kluges Ei der Wirklichkeit, der Erkenntnis und Definition. Als Frage und Antwort zur Gleichstellung, die ja gerade auch kulturkundlich gelten sollte, schon mal überhaupt nicht. Die Art „Jakobshof“ verendete auch darüber, also über die offiziell-kulturelle Bewertung. Keine Alternative für die Alternative: …schlicht und weg, schlichtweg einfach alternativlos sterben gelassen. So nah, aber doch aus der Ferne entschieden. Was diesen historischen Ort in und aus der Mitte des Jakobviertels und der Stadt zumindest – im Untergang und bis dahin – betrifft. Das Endergebnis war: Null, also ohne Kultur, ergo kulturlos.
Das Nichts
In einer raschen Form der Vertreibung und Flucht – eigentlich auch mit leeren Koffern. Das letzte große Plakat am legendären Live-Hof, der ja tatsächlich sogar den Schutzpatron des Viertels im Namen trug, bat und bettelte noch: „Psst! Ruhe… im Außenbereich“. Es klingt im Nachhinein auch wie ein ganz böses Vorzeichen, das nur gut und hoffnungsvoll und gemeinschaftlich und solidarisch gemeint war. Es bedeutete schließlich aber: „Ruhe…in Frieden“. Oder vielleicht noch nicht einmal das, also das mit dem Frieden – und einem Leben nach dem Aus. Es folgte die absolute Lautlosigkeit. Das Nichts.
Die letzte Hoffnung, dass man in Aachen alternative Räumlichkeiten finden könnte, müsste…verging leider auch – in einem sich ewig dahinschleppenden Prozess, im Hin und Her, zwischen Versprechen, Versprechern und Nur-Versprochen, vorher- und fremdbestimmt sowie verzögert – bis zum und als Ende. Kein Bitten half.
Das kann und darf man nicht vergleichen
Jeder Vogel konnte es erahnen. Selbst eine Bittmesse im Dom, zugeschaltet etwa zu einer Ratssitzung, hätte nicht geholfen. Dabei war die Leuchtreklame am Hof im Hinterhof für Aachener Kultur- und Nachtschwärmer irgendwie ebenso so anlockend, wie die manchmal illuminierte Kirchenspitze von St. Jakob für Pilger. Und: Hätte man für jeden Gast, der jemals hier gewesen ist, ein Kerzchen angezündet, brauchte es keine öffentlichen Laternen mehr. In der Jakobstraße nicht – und weit, ganz weit darüber hinaus auch nicht. Das darf und kann man nicht vergleichen.
Deshalb lief es auch anders: So ge- und verplant, so getan als ob, als wäre es so alternativlos (gewesen). Hier nun aber absolut vorent- und verschieden. Vorbei. Kein Laut mehr. Keiner, auch keiner mehr, der von oben nach unten die Kultur-112, einen Rettungsschirm oder ein neues Heim anbot. Kein Platz dafür da – in ganz Aachen nicht, also auf einer Gesamtfläche von insgesamt so 106 Quadratkilometern – in den Breiten. Mögliche Orte und Dimensionen – in die Höhe oder in die Tiefe projiziert – noch nicht einmal miteingerechnet. So klein kann die Welt auch sein.
Mal lautlos klingeln
Aus und vorbei: Außer man klingelt heute vielleicht nochmal am Neubau, der auf seinem Schutt draufgesetzt wurde. Am digitalen Klingeldings, das einen ungewollt erinnert – an gute, an bessere, an die besten Zeiten – hier. Nichts mehr da, keiner mehr da – von früher, von heute und auch nicht von morgen – an diesem Ort, in diesem Sinne. Das Ding summt nicht einmal.
Dahinten ganz hinten, da unten in der Parkgarage muss er gewesen sein, der Hof. Darüber nun ein Sakro-Block, unter dem Hunderte Konzerte, Auftritte (hoch 2), Tausende Erlebnisse, Erinnerungen und Nächte, ganze Lager voll von Applaus, Lampenfieber, Schweiß, Verbeugungen und Umarmungen begraben liegen. Und anderes natürlich, auch prozentiges Flüssiges. Ein verschüttetes, ein eigentlich bis auf den letzten Kellerstein ausgeräumtes Wohnzimmer der Aachener Stadtkultur und des Stadtlebens, das nicht mal als Mini-Museum unter einer Mitleid-Glasscheibe und ohne Eingang bleiben durfte: „Jakobsfarg“ ohne Sakro.
VIP auf R.I.P.
Darüber nun ein massiver Apartment-Deckel aus Beton – mit der Video-Anlage zur Gesichtskontrolle und den vielen Namen daneben, darunter und darüber. Man hört draußen nichts, wenn man klingelt, wahrscheinlich auch drinnen nichts von draußen, bevor dann das Sicherheits- und Gittertor plötzlich von selbst auf- und zugeht. Dann kommt noch ein zweites. Die frühere Eintrittskarte für alle ist nun ein Code, secret und privatissme. Nur für Bewohner und ihre gewünschten wie gescreenten Gäste. Für eine Art „Gated Area“, also irgendwie auch ge-, ver- und ausgeschlossen. Nur anders. Irgendwie versummt es auch: wie VIP nach R.I.P…
7 Jahre später, also heute: Es hat den grazilen Körper einer Ballettänzerin, die vor einer Wellblechwand mit aufgepinseltem, weißen Kreis auf einer Holzkiste auf den Spitzen balanciert. Der imaginäre Schatten hinter ihr/ihm/es, der eigentlich schwarz sein müsste, scheint wie ein paradoxer Scheinwerfer. Die Skulptur ist riesig, an die vier bis fünf Meter hoch. Ganz oben guckt ein überdimensionaler, massiver Clownskopf mit roten Pappnase, rotem Hut und Träne unterm rechten Augen eher skeptisch und mit leeren Augen in – die erste oder hinterletzte Reihe. Von wem und was? Mit den Armen, die mit ebenfalls zu großen Opern- oder Plastikhandschuhen überstülpt sind, versucht es eher teilnahmslos – das Gleichgewicht zu halten.
Es ist nicht Rick Opgenoorth, es ist nicht Jens Michel. Wenn es mal in Funktion ist, dann bewegt sich das angewinkelte Bein der Tänzerin sacht und leichtfüßig hin und her, während sie mit der linken Hand einen goldenen Ring auf einer Schnur ebenfalls gegen die Schwerkraft austariert.
Auf der Sitzbank
Es ist keine Holzkiste, es ist eine Sitzbank aus Holz, nur einen Schattenwurf von dem „Ballerina Clown“ entfernt, in deren Spiegelung es aber auch um das Finden der Mitte, um Ausgewogenheit, Harmonie und Synthese geht, um die Kunst im Ausgleich: Rick, wesentlich zuständig für das Programm des KIMIKO, und Jens, der haupt-sächlich das Design und die Kommunikation verantwortet, sind an diesem frühen Freitagnachmittag, kurz bevor es beginnt, sicherlich auch angespannt, aber ebenso relaxed, ausgeglichen, in froher Erwartung gepolt. Das KIMIKO ist ja auch eine Art Kreißssal. Jedes Jahr ein neues Kind in der Festival-Familie. Zudem hat Rick am Sonntag Geburtstag.
Zwischen dem einen und dem anderen
Und, es liegt nicht an der Wettervorhersage: sie sind sonnig be- und gestimmt, abgehärtet und stabil auch. Es wird nicht regnen. Der KIMIKO-Schirm geht auf: Die letzten Soundchecks surren, die Getränkehähne laufen schon mal zur Probe, die ersten Gäste stehen schon vor dem Jeton-Schalter an. Hier noch jemanden begrüßen und umarmen, schnell noch eine SMS ans Team absetzen, nach dem Fahrer whatsappen, der Keziah Jones wieder zum Hotel chauffieren soll.
Aber auch so profane Fragen ruhig beantworten – wie etwa zu: „Wo sind die Aschenbecher? Und hast Du nochmal mit dem einem Nachbarn gesprochen?“ Oder es einfach mal klingeln lassen. Und lieber nochmal kurz und positiv zurückschauen. „Zwischen dem einen und dem anderen liegen ja nur ein paar Wochen“, sagt Rick zur Pausenlosigkeit eines Veranstalters, der sich auf die Reise, auch als Odyssee, machen musste, nachdem er als einer der Betreiber des „Jakobshofes“ seine Arbeits- und Wirkungsstätte verloren hatte. 2015 (siehe oben) war das. Es geht konkret um Wochen, aber auch um Jahre, die dazwischen liegen.
Mal reinhören
Mit „Dazwischen“ meint er das eine KIMIKO-Festival am Campus Melaten als „Isle of Campus“, und das andere eben, das rund 6 Wochen später als „Isle of Art“ am LuFo anlandet. Die Mission ging und geht weiter: eben nun als mobile Open-Air-Alternative. Mal reinhören: „Das Campus-Festival ist überaus erfolgreich gelaufen. In der Resonanz, in der Wirkung, in der zukunftsweisenden Etablierung – mit über 10.000 Besuchern. Das Programm ist natürlich auch auf eine jüngere Zielgruppe ausgelegt, also – mehr oder weniger – auch lauter. Unter dem Strich: es war zwar schon ein enormer Stress, aber im Resultat mit einem sehr positiven Echo und Ausgang verbunden. Musikalisch, publikumstechnisch, aber auch in der Kooperation mit der Start-up-Community aus der Region und darüber hinaus. Dies werden wir – gerade auch im Umfeld des Hochschul-Standortes Aachen – weiter ausbauen.“ Sagt Rick.
Der Balanceakt auf dem Aachener Seil
Nun auf der anderen Insel. Jens sagt: „Wir müssen schon schauen, dass wir gerade in Bezug auf Phonzahlen die Balance halten, indem wir etwa vermehrt auf akustische Acts setzen. Fakt ist: Bestimmte, gerade auch prominente Bands verlangen im Vertrag eine garantierte Phonstärke, die wir dann aber leider nicht versprechen können. Es ist dann auch oftmals ein unschönes Ausschlussverfahren, das einer möglichst spannenden Komposition des Programms eben nicht förderlich ist. Dies bedeutet dann auch Ausfälle und Kompromisse, die manchmal schmerzlich sind. “ In diesem Jahr galt dies z.B. für Asif Avidan, einem Superstar der internationalen Folk-Rock/New Folk-Szene. Er wäre gerne gekommen, aber.
Das KIMIKO ist: Vielfalt auf einer Scheibe
(Trotzdem) ist den beiden eine Open-Air-Partitur mit rund 40 Solisten, Gruppen und Kooperativen gelungen, die keinen Misston hat, keine Abstriche macht. Überaus fein getuned, abgestimmt, polyphon und paritätisch. Beide sagen: „Wir denken eigentlich pausenlos, also über`s ganz Jahr nach, wer, wie, wo und warum gebucht werden sollte.“ Es ist eine nicht einfache Regiearbeit im Balanceakt zwischen Trends, Finanzen, Verfügbarkeiten, Dramaturgie an sich und im Time-Table, Wetter-vorhersagen, Stars und eben keinen Stars, Bekanntem und Unbekannten, zwischen alt und neu, jung und nicht mehr so jung. Und zwischen dem Schwert und Vakuum mit der Lautstärke: die gesetzlich geregelte, die ausgelegte, die nur gefühlte und/oder interpretierte. Deshalb segelt man jetzt auch ruhiger: unten. Darüber, also oben, oder seitwärts – wachen die Ämter.
Beide sagen noch, auch ungefragt: „Die wichtigste Förderung, die wir bekommen, kommt vom RKP-Programm (Hinweis: „Regionales Kultur Programm“ des Landes NRW). Ohne diese Unterstützung könnten wir das Festival nicht stemmen. KIMIKO finanziert sich durch die Eintrittskarten, diverse Standvermietungen sowie durch eher kleinere Sponsoren und weitere öffentliche Fördermittel.
„My way“ und die Nachbarn, solche und andere
Früher summte am Clown manchmal auch ein Kassettenrekorder, aus dem „My way“ erklang, monoton und selbst gesungen von Jonathan Borofsky, seinem Erschaffer. Als Selbstporträt oder als andere Stimme zur Rolle von Kunstschaffenden. Ambivalent. Sinnbildlich, heute sinniert und singt es/es nicht vom Band, aber alles um ihn herum – in diesem Sinne. Und wirkt nun ebenso: als Schutzpatron (m/f/d), den es wohl auch braucht.
Vielleicht auch für einen besonderen Nachbarn, der schon mal vorauseilend in Sachen „Lärm“ bei den Machern anklopfte, bevor es überhaupt losging. Die letzte Meldung trudelt gerade ein: „Er hat gerade etwas gepostet. Und zwar sich mit acht aufgefächerten Eintrittskarten, die wir ihm geschenkt hatten. Und dazu geschrieben: Schön, wenn man Nachbar vom KIMIKO ist…“ Auch eine einzigartige Idee – als eine Art „Nachbarschaftszoll“, „Kultur-Lösegeld-Trick“ oder „Balkonlagerei“ – oder einfach nur missverstanden und/oder ganz nett. Zum Glück auch als Ausnahme: andere Nachbarn stellen ihre Liegen und Tische auf´s Garagendach, oder lehnen sich wie am offenen Fenster auf die Gartenmauer, um mitzuerleben. Andere kommen gerne und offiziell herüber.
Was es bedeutet
Was KIMIKO bedeutet, sieht und hört man schon beim Soundcheck, wenn beide kurz hintereinander auf der Hauptbühne stehen. Der eine: Der junge Mann namens „After Cooking“. Kein Koch, sondern einer, den man sonst manchmal in Aachener Fußgängerzonen trifft, wenn er konzertiert. „Techno meets garbage“: Eine technoide, treibende Symphonie mit Soundschleifen und Beats aus der Steckdose, die er perkussiv verschmelzen lässt. Seine Instrumente sind neben dem Mischpult: alte, original-abgenutzte und umgedrehte Töpfe aus den 70er-Jahren, Plastikwannen aus der Neuzeit als Bongos, wunderhässliche Backformen und eine ziemlich gigantische, selbstgebaute Orgel aus grauen Abflussrohren. Er hockt, wenn er spielt. Drumherum überall Mikrofone. Wer die Augen schließt, könnte nicht erahnen, dass hier jemand auf Müll tippt, streichelt und haut. Und: Sein Output lebt nicht vom Kuriosum, sondern als Gesamtkunstwerk in Musik. Ein Klangweltenbummler. Ein Kraftwerker mit „Müll“. Auch ein „Ludwig“ – mit „van oder von“.
Der andere ist: Keziah Jones, der sofort den Raum, den Park und die Köpfe elektriziert, wenn er die Bühne betritt. Jones ist kein junger Mann mehr, sondern 54. Ein Star, der schon in den 90-ern erfolgreich aufschlug. Vor allem in Frankreich, aber auch in Europa, den USA und in Nigeria. Jones hat Aura, die – wenn er fast ganz in Weiß gekleidet im gleißend roten Dauerlicht vorne steht – noch stärker aufleuchtet. Leitfigur, Symbol, auch Kämpfer, ein „afrikanischer Superheld“, den er auch in seiner Kunstperson „Captain Ragged“ manifestiert hat. Einer, der auch ein anderes, ein selbstbewusstes, realitätsnahes Bild/Image vom modernen Afrika vermitteln will.
Jones kommt ursprünglich aus Lagos. Jones spielt seinen „Bluefunk“. In kleiner Besetzung: E-Gitarre, Bass und Schlagzeug. Mehr nicht. Also genügend minimalistisch, was aber gerade weite Welten eröffnet. Jones funkt und singt im Kern bluesig, hart auch, kompromisslos, aber auch poppig, gar auch balladenhaft. Vom Boden des Blues aus in viele Nebenkammern, die aus ihm entstanden sind. Jones ist Jones, der von einem Fixstern kommt, auf dem auch schon mal Fela Kuti, Jimi Hendrix, der Punk, Mothers Finest oder auch Prince leb(t)en. Jones predigt laut, konzentriert auf den Punkt gebracht, radikal poetisch wie prophetisch, aber dann auch träumerisch/liebevoll/optimistisch im Falsett. Jones spielt zum Sonnen-untergang. Die Bühne ist eckig, aber wirkt rund, liegt im totalen Rot. Wie die Sonne über Lagos – oder wie gerade über der Bühne im Park, während sie mit ihm auf- und dann für alle untergeht. Die Sonne, die Bühne bleibt.
Eigentlich/uneigentlich/eigentlich
Beide stehen auf der gleichen Hauptbühne. „After Cooking“ und Jones. Der eine als Opener, der andere als Hauptact. Eigentlich trennen sie Welten, uneigentlich nicht (und umgekehrt).
Neue Worte: Die Liebe (und das Leben) in Zeiten der Dystopie
Die Welt am Draht, zu schnell, zu ungewiss rotierend, am Grad, am überhitzten Grat. Wenn man ganz genau hinhörte, offenbarte das KIMIKO Songs und Texte dazu, die aktueller und neuer nicht sein konnten. In der Galerie vom Jetzt. Zwischen Alltag und Albtraum. Neue Worte – an derzeitigen und kommenden Orten, die schlecht sein könnten. Das klingt anders, wirklich und paradoxerweise (aber) auch gut.
Wie Jochen Distelmeyer (Ex-Blumfeld) auf blumigem, dann auch abgebranntem Feld. „Draußen lodert die Welt wegen Geld…wie im Fieber. Und wenn der Morgen kommt, lieb‘ ich Dich wieder.“ Es kommt wie ein Sehnsucht-Toast auf Westcoast-Melodien herüber, kompositorisch, ohren- und augenscheinlich. „Ich schau’ aus dem Fenster auf‘s Telefon, es war verrinnt wie eine Illusion.“ Wie ein Song von „Spandau Ballet“ in der Dystopie. Süßlich wie „„Lieb‘ mich wie im Fieber. Du bist wie der Wind über allen Bildern und Liedern“. Und dann wird es plötzlich ganz düster im ohrwurmigen Edelpop-Schlagerhaften. Ende: „…fühl` den Rauch…, das Fieber steigt, und die Städte fallen…“ Und nebenbei wird noch die gefühlte Wahrheit punktiert: „Sag‘, was ist, oder lass‘ mich gehen.“
Die imaginäre B-Seite dazu kommt von „Tigermilch“ (aus Köln). In und aus „Das bin ich“: „Irgendwie begreif` ich nicht, bin ich doch sozialisiert. Während ich noch so im Grübeln bin, ist wieder viel passiert. Dinge, deren Relevanz sich mir nicht ganz erschließen. Dinge, wo wer anders sagt: `Zurücklehnen und genießen`. Was soll ich da genießen, wenn ich mehr hab` als Du. Die Armutsschere öffnet sich, und ich seh` dabei zu. Geben kommt mir irgendwie aber auch nicht in den Sinn. Weil ich nur schlecht genießen kann – und selten traurig bin.“ Den Text hört man hier einmal, man liest ihn aber mehrmals (nach).
Wenn man das KIMIKO und die KIMKOS durch das Tor verlässt, steht man wieder auf der anderen Seite von Aachen. Am Ufer an der Bushaltestelle, das auch nur ein Steig ist. Unweit der Autobahn, von der es gedämpft ins Ohr schaukelt…“Fahrbahn ist ein graues Band. Weißer Streifen, grüner Rand. Fahren, fahren, fahren…Vor uns liegt ein weites Tal. Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl.“ Es ist wohl eine Art Nah- und Nachwehe, eine natürliche, aber auch unwirkliche. Im adoptierten Motiv.
An alle anderen
Man ist etwas überdreht, etwas müde, aber auch schon wieder in Gedanken fern unterwegs. Postkarten wären jetzt angesagt, wenn sie fliegen könnten. So etwa vierzig Stück, aber alles neue.
Eine geht an Wolfgang Becker. Eine an Kristof Mittelstädt. Eine an Markus Bartz (MAKKE) für seinen unglaublichen Song „Lesson“ (https://www.youtube.com/watch?v=Znw0HkQftDk“), den er hier zwar nicht gespielt hat, den man aber immer hören muss. So seit vier Tagen. Zwei einzigartige, nicht kopierbare Karten mit skizziertem Strandkorb und Massen-Smiley und Gold-Mikro gehen selbstverständlich an Rick und Jens.
Mit einem neuen, unkippbaren Postkartenständer dazu – für die beiden. Und für alle anderen auch.