Und was das mit einer Schubkarre zu tun hat.
von Martin Heinen
Meldung des Belgischen Rundfunks von Mittwoch, 14. Juli 2021, um 7.06 Uhr, immer wieder aktualisiert bis um 19.29 Uhr: „…es wird damit gerechnet, dass der Pegel der Wasserläufe über Nacht noch weiter steigt und die Wassermassen zahlreiche Keller und Straßen überfluten. Die Stadt Eupen ruft die Bevölkerung dazu auf, Vorkehrungen zu treffen, um Schäden zu vermeiden. Wertgegenstände und Elektrogeräte sollten auf höhere Etagen in Sicherheit gebracht werden. In Eupen ist vorsorglich die Evakuierung einiger Straßen in der Unterstadt veranlasst worden. Betroffen sind die Häuser im Schilsweg und in der Haasstraße.“ Und weiter: „Da die Lage im Süden der DG aktuell relativ entspannt ist, unterstützen Feuerwehrleute aus der Eifel ihre Kollegen. Das Rettungsboot der Feuerwehr sei ebenfalls nach Eupen gebracht worden. Es handele sich um eine Vorsichtsmaßnahme, falls Menschen gerettet werden müssen. Die Hilfsleistungszone der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) bittet Anwohner um Geduld. Die Einsatzstellen würden nach Priorität und Möglichkeit abgearbeitet.“ Am gleichen Vormittag mailte und simste das Eupener Krisenzentrum noch dazu: „Der steigende Pegel der Wasserläufe wird in den nächsten Stunden wahrscheinlich zahlreiche Keller und Straßen überfluten.“
Ähnliche Vorwarnungen gab es aus dem gesamten Umfeld der DG – aus Kettenis, Raeren, Moresnet, Hergenrath und weiter aus den wallonischen Orten Spa, Theux, Jalhay, Limbourg/Dolhain, Verviers, Ensival, Pepinster bis nach Lüttich. Entlang der gesamten Weser (Vesdre) – von der gleichnamigen Talsperre in Eupen bis zur Mündung in die Maas. Eher nebensächlich wird in diesen Zustandsberichten noch erwähnt, dass vor allem die kleinen und mittleren Bäche – wie der Iterbach, die Göhl und andere – ungewöhnlich und gefährlich hoch anschwellen. Ein mögliches Indiz dafür, dass man es diesmal mit einer Ausnahmensituation zu tun haben könnte. Für die gesamte Region und auch gerade auch für das Wesertal, das geradezu prädestiniert, also in hohem Maße geeignet ist: für Überflutungen, die es immer wieder gegeben hat. Vor 60 Jahren ganz schlimm, oder etwa Ende der 90-Jahre und 2008. Wenn auch in (weitaus) geringerem Ausmaß als im Sommer 2021, aber auch offenlegend, wie diesbezüglich „äußerst sensibel und vulnerabel diese Region ist.“ So attestieren es ein paar Monate später Schweizer Experten, die prüfen sollten, ob diese Katastrophe wesentlich durch die Wesertalsperre mitverursacht worden ist, deren Wassermassen (…wie früher in solchen Fällen fast immer auch…) abgelassen wurden. Zusätzlich zu den Monsun-Wasserfällen, die sich vorher seit Tagen über der Region festgesetzt und ausgeschüttet hatten. Ihr Resultat: Nein, ursächlich nicht.
Diese Eilmeldungen waren alarmierend genug, sie verharmlosten nicht, aber im Rückblick beschreiben sie eher nur die Vorboten und -wellen eines gewaltigen Starkregen-Tsunamis im kleineren Maßstab, der sich an diesem „Schwarzen Mittwoch“ gerade tückisch überall sammelte, um dann mit aller Gewalt gnadenlos anzurollen und auf breiter Wasser-, Schlamm-, Geröll- und Unrat-Front zu zerstören. Nur ein paar Stunden später dann, nachmittags, abends und bis in die Nacht hinein als Monster angewachsen, das wie ein virtueller Ausschnitt aus einem Katastrophenfilm wirkte, aber realer war, als die Fiktion es sich hätte ausdenken können. Aus filmischen Schnipseln in die Wirklichkeit übertragen – „Der Sturm“, „2012“, „Hard Rain“ und „The day after tomorrow“, von allem etwas „spielte“ plötzlich hier (zusammen), nicht irgendwo fern inszeniert, sondern direkt erlebt und erlitten. Entlang des Tales, seines Weges und seiner Biegungen, weitab von Hollywood, dessen Schluchten vom Wasser eingekesselt wurden, um quasi zum Delta anzuwachsen.
Von Eupen bis nach Lüttich, über 30 km lang und weit. Live projiziert in einem Tag und in einer Nacht. So hoch, so breit und brutal, wie vorher wohl noch nie: Eine irreal wirkende Walze, aus sonst dümpelnden Bächlein gespeist, deren Verläufe und Namen man vorher kaum kannte und von denen man Wochen vorher noch glaubte, dass sie eher austrocknen könnten. Unbekannte Namen wie Eschbach, Chawion, Ruisseau du Fond des Gottes, Hazienne, Pancherelle, Walthinne oder Schimmericherbach. Hinein in die Weser, die im keltischen Namenursprung nur harmlos Wasser bedeutet, und in der man in normalen, beschaulichen Ebbe-Zeiten die Kieselsteine leicht greifen oder den friedlich schwimmenden Entlein, rostigen Dosen oder verklebtem Toilettenpapier sehnsüchtig oder ungeklärt nachschauen kann. Auf ihrer Reise im Kreis oder zur See im Norden, wo es die eigentlichen Fluten, Stürme und Dämme tatsächlich gibt, bisher nur gab. Weit weg genug also.
Die Weser trottet alltäglich dahin, mehr oder minder scheint sie romantisch, sie schnurrt und flutscht meist still einfach weiter, oftmals unbemerkt, versteckt, eher nebensächlich. Mal schöner, mal stinkiger, mal unsichtbarer, mal überraschender, wenn man an ihr vorbeifährt oder unbedacht über ihre Brücklein rauscht. Dabei ist sie auch eine (gefährliche) Schlange, sie kommt von ziemlich weit oben, mal ist sie langgestreckt, um richtig Geschwindigkeit aufzunehmen, dann presst sich in abrupten Kurven in die Tal-, Orts- und Stadt-Engen. Eine optimale Rutsch- und Achterbahn, perfekt geseift mit Wasser von allen Seiten – und dann von hinten auch manchmal noch angetrieben von der Wesertalsperre, wichtigstes Trinkwasser-Reservoir Belgiens, deren Höhenlage (beim Stauziel) bei 385,5 Meter liegt – mit einem Gesamtstauraum von 25 Mio. Kubikmetern. Wenn sie, wie etwa am D-Day 14. Juli, nicht nur als Sammelbecken (mit einer Wasseroberfläche von 1,25 Quadratkilometern) und als Ausflugsziel dient, sondern ihre Wassermassen massiv abgibt und flutet. Die Weser rast dann – ungebremst, wild und wütend hinunter.
Das weiß man, wenn man es schon einmal selbst erlebt hat – in einem September in den 90-er Jahren im Tal von Dolhain/Limbourg, einem wallonischen, westlichen Nachbarort von Eupen, nur wenige Kilometer entfernt. Vier Tage Dauerregen lagen davor, allerdings lange nicht so extrem wie im letzten Jahr aus gigantischen Wannen ausgekippt. Über Nacht wuchs die Weser zum gewaltigen Strom, blieb aber zumindest an dieser Stelle noch in ihrem natürlichen Flussbett. Es fehlte nur ein halber Meter, dann hätte sie auch das Wohngebiet rund um die „Cite Carlier“ voll erwischt. Die sonstigen Überflutungen des Städtchens hielten sich damals (noch) in Grenzen. Ein solches Erlebnis, eigentlich harmlos im Vergleich zur Situation im Vorjahr, vergisst man niemehr. Als Vorwarnung, gerade auch als Erinnerung und Weckruf, die instinktiv und lange vor den anderen Alarmen schon klingelten, als im letzten Juli der große Regen kam…Wenn man mal ein Haus hatte, nur 20 Meter von der Weser entfernt, oder man über 20 Jahre später im Garten – diesmal an der Stolberger Vicht – stand und feststellen musste, dass man solche fallende Regentonnenmassen noch nie erlebt hat. Selbst nicht in indischen Monsunzeiten, nicht unter der Hurrikan-Glocke auf „Key West“… noch nirgendwo, noch niemals. Außer im Film und an diesen Tagen: Im Blick nach oben und nach unten zur Schubkarre, die sich binnen Minuten mit Wasser komplett füllte, immer wieder, immer schneller. Ein Omen, eine deutliche Warnung – schon Tage vor dem Tag, als die Flut dann wirklich da war. Es stand in keiner Schrift, wohl auch in keinem Katastrophenplan, der es hätte offenbaren können, aber es war im Gedächtnis eingebrannt, dessen Angst stündlich anstieg und an diesem Mittwoch schon mittags ahnte, eigentlich wusste, was sich hier und dort anschlich: Zweifall, Vicht, Stolberg werden ertrinken…Ein Déjavu, das aber nicht täuschte. Eine böse Erinnerung an damals, als man morgens aufwachte und den extremen Donner und Lärm erstmal nicht zuordnen konnte. Vorgewarnt: …werden ertrinken. Eupen, und die alte Heimat Dolhain wohl auch.
Zum Glück stoppte die Vicht, die am 0714-Tag im Stolberger Tal von ein paar Metern auf 150 bis 200 Meter Breite und zwei bis drei Meter Höhe (oder gar noch höher) angeschwollen war, kurz vor dem neuen Zuhause, der Garten dahinter war jetzt ein See. Ziemliches Glück gehabt – auf einer der wenigen Inseln im kilometerweiten Katastrophengebiet. Aber man hatte (siehe oben) ab mittags ja schon irgendwie versucht, sich vorzubereiten: …Taschenlampen suchen, Stromaggregat hochholen, Gaskocher checken, Auto wegfahren, Nachbarn warnen. Nicht, weil zu diesem Zeitpunkt schon entsprechend amtlich gewarnt wurde, sondern weil man es schon mal gesehen, gehört und gerochen hatte.
Wenn man wenige Tage danach schon aus dem einen Krisental irgendwie über Schleichwege ins andere fuhr, um zu schauen, wie es der alten Heimat ergangen ist, fand man sich in einem Kriegsgebiet und in einer Geisterstadt wieder. In Dolhain, das – vor allem auch jenseits der Grenzen – eher im Schatten der Flut, also kaum in den Schlagzeilen stand. Dabei hat es das Örtchen am Fuße der historischen Limbourger Oberstadt, die gerne als Geheimtipp und als eines der malerischsten Flecken der Wallonie bezeichnet wird, übelst getroffen. Der Angriff des Wassers hat fast alles regelrecht zerbombt: Die Avenue Victor David, die von Goé in die Ortsmitte führt, ist wie von einem Erdbeben aufgerissen, eine Hälfte der Straßendecke ist ganz weg, die Kanalschächte sind wild aufgeschnitten, überall lugen verwirbelte Kabelstränge und Leitungen hervor. Die massive Stahlbrücke (etwa 50 Meter lang) neben der alten Brücke an der „Rue des Escoles“ hat es aus der Verankerung gerissen und weit abgetrieben. Sie steht jetzt hilflos quer im Fluss. Ganze Außenmauern, drei Meter hoch, ganze Häuser – sind einfach verschwunden. Weiter über die N 61 zum Ortsausgang Richtung Verviers ist die komplette Uferstraße weggeschwemmt worden.
Von dem, was man sieht und was noch übrigblieb, kann man erahnen, was hier passiert sein muss. Die Monsterwelle mit Deponien an Unrat, die sie bis dorthin mitschleppte, raste und krachte mit voller Wucht und in voller Ortsbreite in Richtung Marktplatz „Place Léon d`Andrimont“. Etwa 150 bis 200 Meter breit, links der Limbourger Schieferberg, rechts ebenfalls nur die Wand aus Hügeln. Mitten hinein. Kein Entkommen, kein Notausgang. Nicht für das Wasser, nicht für die Menschen. In der Linkskurve dann und weiter in Richtung Verviers stauen sich die Mengen immer weiter auf, fließen aus allen Ecken immer höher zusammen, zusätzlich noch gespeist vom Wasser, das von allen Hügeln hinunterdrängt. Ein ganzer Ort, der sich wie in einer zerstörungs- und todbringenden Badewanne auffüllt, der bis unter der Decke unter Wasser steht, fast wie in der Zelle eines Stausees gefangen ist, die sich immer schneller dreht. Nimmt man die Plastikfetzen, die sich um die Äste gewickelt haben, und die Schlammmarken an den Häusern als Indiz, muss die Welle hier sechs, sieben, vielleicht auch acht Meter und mehr über dem Flussboden gestanden haben bzw. gerast sein.
Zum Glück hatte Bürgermeisterin Valérie Dejardin frühzeitig evakuieren lassen. Es gab hier keine Toten. Ein großes Unglück bedeutet es aber trotzdem: 1200 Wohnungen sind zerstört, bei gerade mal insgesamt 6000 Einwohnern. Schulen, Kindergärten, Gemeindeverwaltungen, Bürgersäle, Sporthallen… – quasi alles wurde von den Fluten zerschossen und pulverisiert. An der Uferstraße in Richtung Goé hat man schnell einen provisorischen Müllplatz improvisiert. Riesige, neue Hügel aus Unrat türmen sich jetzt als unwirkliche Kette über den Wiesen an der Weser, die wieder so ganz unschuldig dahinplätschert, als könnte sie niemals mit Häusern und Brücken jonglieren, Fluten speien oder wie ein Meteorit durch die Straßen schießen.
Ihr Staub und ihr Schlamm vernebeln jetzt alles drumherum in fiesem Abraum-Braun und tristem Depri-Grau, die überall kleben. Jetzt tut sie wieder so, als wäre sie nur ein etwas größerer Bach – um sich herum aber nur Grausamkeiten von einem aufgeschlitzten Ort spiegelnd, durch den das Wasser mit seiner Schlacke und seinem Gift durch jede Pore ritzte. Die neue Breite ihres Beckens, das sich an manchen Stellen fast verdoppelt hat, verrät aber, was sie wirklich getan hat.
Bis 2024, so hofft Dejardin später, will man den Wiederaufbau geschafft haben. Es gab hier keine Toten – zum Glück. Entlang der Weser gab es aber leider insgesamt 41 Menschen, die diesen Tag und diese Nacht nicht überlebten. Dazu gehört auch ein 22-Jähriger Eupener, der im Ortsteil Nispert in den reißenden Stadtbach geraten sein soll. Rettungskräfte fanden den leblosen Körper des Mannes später im Bachlauf am Rotenberg.
Die fatale Lage, die schicksalhaft für Dolhain gilt, gilt in ähnlicher Form auch für die Eupener Unterstadt. Fast acht Monate später peitschen die Böen über den Vorplatz des Eupener Verwaltungsgebäudes in der Nähe des Marktplatzes und verschieben die Bauzäune. Die Sturmwarnung war berechtigt. Draußen läuft niemand mehr herum. Der Regen knallt gegen die Fensterscheiben. „Das macht vielen Menschen wieder Angst, da kommen gleich wieder die schlimmen Erinnerungen hoch. Und die Angst, dass es wieder passieren könnte…“, befürchtet Guy Adrian (55) gleich im ersten Satz. Im Gespräch, indem es eigentlich um den positiven, ruhigen Wiederaufbau der Eupener Unterstadt gehen sollte, die ebenfalls von der Flut im letzten Jahr überrollt wurde. Es traf insgesamt rund 1200 Haushalte, etwa 14 Prozent der Häuser der Stadt – und rund 5000 Menschen, immerhin rund ein Viertel der Eupener Bevölkerung.
Adrian ist seit Dezember 2021 offizieller Viertel-Koordinator für den Wiederaufbau der Unterstadt – in einem vierköpfigen Team. Neben anderen Stellen, Institutionen, Vereinen und privaten Initiativen ist diese Arbeitsgruppe eine zentrale Anlauf-, Informations- und Beratungsstelle für die Flutopfer. Adrian lebt und wohnt selbst in der Unterstadt, hat von Anfang an mit angepackt und auch die ersten Hilfsangebote organsiert. „Die Solidarität war und ist enorm. Aus allen Altersgruppen, aus allen Schichten. Von den Eupenern selbst, aber auch von vielen Helfer*innen aus der Region und teilweise weit darüber hinaus. Die anfängliche Organisation war natürlich chaotisch genug. Wir mussten etwa Bollerwagen nutzen, weil mit anderen Fahrzeugen ein Durchkommen nicht mehr möglich war. Aufräumen, Versorgungstände aufbauen, schnell und pragmatisch Hilfe leisten, vor allem auch sozial und psychologisch unterstützen…“, skizziert Adrian die ersten Schritte der Not- und Hilfs-maßnahmen. Das unheimliche Leid, das viele getroffen habe, lasse sich kaum beschreiben. Und er fügt hinzu: „Die Anfragen, Bitten und Probleme der Betroffenen sind immer noch sehr vielschichtig. Unsere Aufgabe ist es, weiterhin auf die Menschen zuzugehen, immer ein offenes Ohr zu haben. Als erste Ansprechpartner und als Bindeglied zu den Hilfsangeboten in der Verwaltung und in der Eupener Bürgerschaft. Diesbezüglich verfügen wir jetzt über sehr gute Strukturen. Die Entwicklung ist positiv, obwohl der Weg zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse sicherlich nicht noch weit genug ist.“
Wichtig bleibe es, den Kontakt nicht zu verlieren, niemanden zu vergessen. Die Flut habe Eupen im Ganzen getroffen. Es ginge aber immer auch um die Einzelschicksale: „Manche, gerade auch ältere Menschen, ziehen sich zurück. Da müssen wir dann etwa schauen, dass der Kühlschrank nicht leer wird. Die Flut kam als eine große Welle und hat aber viele Tausend Einzelfälle zurückgelassen. Entsprechend vielseitig und individuell müssen wir weiterhin helfen. Offen bleiben, ansprechen, immer wieder nachfragen, zuhören – diese Einstellung muss bleiben.“ Zu dieser Direktheit gehört u.a. auch ein Info-Kubus in der Unterstadt, bei dem weiterhin jeder spontan vorbeikommen kann, der eine Frage oder ein Problem hat.
Diese gibt es bestimmt noch. „Die Solidarität ist eher noch gestiegen…“, betont Adrian abschließend. Seine Stelle ist erstmal bis Ende 2022 eingeplant. In der Unterstadt hat sich mittlerweile manches wieder normalisiert. Die Schäden und Wunden sind trotzdem noch sichtbar: Bagger, die immer noch vor Schutthaufen stehen, verbarrikadierte Geschäftsfenster, zerrissene Häuserzeilen, Uferbefestigungen und Fußgängerbrücken. Folgt man den Spuren der Katastrophe bis zum „Lago Wetzlarbad“, das geschlossen ist, weil das Wasser es mit Schlamm geflutet hat (…seine Neueröffnung ist für April 2023 geplant), wird überdeutlich, was auch hier an diesem Tag im Sommer 2021 geschehen ist. Häuser, die wohl mal in Ufernähe standen, liegen jetzt mitten im Geröllbett. Eine Tennishalle in der Nähe war regelrecht aufgeplatzt. Die Flut hat auch mit riesigen Steinquadern und Findlingen gespielt und sie irgendwo anders wieder fallen lassen. Der Parkplatz vom „Quartum Business Center“, indem auch das Arbeitsamt der DG untergebracht ist, wurde weggerissen. Hier hat man in den letzten Monaten emsig gearbeitet: er ist wieder neu da. Die Ufer sind teilweise wieder stabilisiert, die Brücke daneben wirkt eher provisorisch. Die Weser hat sich selbst neu gestaltet und sieht so aus, wie so wohl noch nie ausgesehen hat. Verschoben, verbreitert, komplett umgeformt.
Der letzte, traurige Blick gilt aber nochmal dem Haus in Dolhain, das kurz hinter der Brücke eigentlich immer so friedlich dastand – in der sanften Kurve des Flusses seit über 100 Jahren. Eine Villa, die Ende der 90-er von der Weser (nochmal) verschont wurde. Davor hat es den massiven, zwei Meter hohen Metallzaune nun zerschlagen, als wäre er nur aus Pappe und Strohhalmen gewesen. Insgesamt war hier der Fluss 6 Meter, 7 Meter hoch…? Diese Frage braucht keine Antwort mehr. Das Haus steht noch – davor, daneben und dahinter aber kaum mehr etwas, wie es mal war. Das Wohnzimmer muss unter der Wasserdecke gelegen haben. Gefüllt von hunderten Schubkarren: mit Tonnen von Wasser – ganz, ganz böse.