Das etwas andere MEGA-Mobil des Eupener Kulturmanagers und Galeristen Benjamin Fleig
Etwas bewegen mit 11 PS, wenn sich fast nichts mehr bewegt…
von Martin Heinen
Eupen. – „Hat es nicht etwas von Hinterhof des Chelsea-Hotels?“, fragt Benjamin Fleig ziemlich überzeugend, aber auch leicht rhetorisch schmunzelnd, während er von der Feuertreppe auf wintersonnige Hecken, Hügel und Feldwege schaut. Der Blick geht nicht auf die 222 West + 23rd Street in Manhattan, wo das berühmteste Künstlerhotel aller Künstlerhotels immer noch liegt und leider nun verrottet, sondern über den schottrigen Parkplatz einer ehemaligen Gerberei, der weniger romantisch, aber dafür groß und praktisch ist, hinaus. Und wieder zurück: Rundherum – in der Mitte des Eupener Viertels Nispert – atmet es Dorf-Idylle, plätschern der Schimmerich- und Hasebach, die einst den Grundstoff für die Tuch- und Färberstadt lieferten und immer noch in die Weser münden, arglos und fast unbemerkt durch die verwinkelte Tallage dahin. Gleich gegenüber kann man hinter einer langen, zu hohen Mauer einen verwunschenen Garten vermuten, den der Aachener Architekt Johann Joseph Couven Mitte des 18. Jahrhunderts im klassischen französischen Stil angelegt hat. Als künstliches, luxuriöses Eden und Teil des „Hauses Nispert“ (erbaut 1623), das er im Auftrag des reichen Färbers Goertz umbaute und erweiterte. Darin soll es auch bemerkenswerte barocke Dekors, Stuckarbeiten und Wandmalereien geben. In dieser Talinsel, wo die Straßen eher Gassen sind und zum Dorfplätzchen hinlaufen, wurde wohl auch viel gebetet. Etwa In der angeschlossenen Kapelle „Enthauptung Johannes des Täufers“, die weniger martialisch als „Nispert Kapelle“ bekannt ist. Und von den Mönchen des Redemptoristen-Klosters, die das mondäne Haus mit dem ehemals privaten Betraum von 1935 bis 1960 als kontemplative Klausur nutzten.
Es gibt keinen Popsong über diese Ecke. Kein Cohen, kein Dylan, kein Hendrix, keine Joplin waren hier. Nispert ist nicht Chelsea. Aber ein Abdruck von Andy Warhol könnte passen. Und der Vergleich, das hier wie dort und früher wie heute Menschen, Macher und Mäzene ihre angestammten Räume verließen, um einen neuen Traum- und Zufluchtsort zu gestalten, jenseits der äußeren und inneren Grenzen. Mit Geld, mit Glauben und/oder mit einer Idee – und ihrer Kultur (im Koffer). An diesem Ort z.B., gleichgültig, wo er nun liegt, ob er klein oder groß, bekannt oder unbekannt besungen ist.
In der nispert`schen „Factory“ am Katharinenweg 15 hat Fleig seit 2015 seine Galerie „vorn und oben“ untergebracht. Oben in einem Atelier ist es heute kalt, von unten kam im letzten Sommer die Flut und hat seine Ausstellungsräume eine Etage tiefer fast kniehoch unter Wasser gesetzt, die Heizung auch. Rechts und links sind Gewerbetreibende, Architekten und Künstler seine Nachbarn. Es gibt eine schöne, große Sonnenterrasse. Heute, am Samstag, ist sonst niemand da. Das auch kollektive Miteinander hat wohl Ruhetag.
Fleig kam 2001 nach Eupen – als Unbekannter. Auch er kannte es, Ostbelgien und Belgien nicht. Eine Landung ins Neuland, ins grüne Blaue auch: „…hier trennen uns von den kulturellen Spielstätten wie Opernhäusern, Museen und Galerien keine Häuserschluchten, hier liegen Wiesen. Und ich habe kein Problem damit, eine Galerie in der Nähe von Kühen zu führen.“ Das Gras dazu – in der Peripherie und Prärie der euregionalen Weiten zwischen Aachen, Eupen, Maastricht, Lüttich und weiter – sei hier eben besonders grün, „weil die Menschen hier grundsätzlich Beweglichkeit in den Knochen und im Herzen haben. Und es gewohnt sind, Grenzen und Räume zu überschreiten und zu entdecken…“ Das passt wie im schönsten Rahmen eines Blind Dates: Fleig bewegt sich vielseitig, oftmals voranschreitend, also vorne – motiviert und mobilisiert, ist engmaschig verbunden, multi-kommunikativ. Als Galerist, Kurator, Ausstellungsmacher, Coach, und Filmemacher…, der vernetzt, meist auch Neues als Wegbereiter. Fleig ist ein geerdeter, aber auch inspirierter und konspirativer Raumfahrer, der angekommen ist, längst als ein Bekannter in der Mitte der euregionalen Kreativ- und Kulturszene. Er ist nun verortet, etabliert, aber auch weiterhin ein Navigator, der aus der Drauf- und Übersicht von oben nach unten verbindet (oder umgekehrt).
Auch sein Hotel heißt seit zwei Jahren „Corona“. Mit Stillstand, Distanz und Isolation. Eine Gegenwelt in Standbildern und Zeitlupen, die lähmt, auch ihn natürlich. Fast, Fleig bewegt sich doch, so mobil wie möglich, irgendwie auch schwerelos, zuversichtlich eben: Seit 2018 ist er auch Viertelmanager des Eupener Stadtteils „Bergviertel“. Auf der Basis und im Anspruch eines INTERREG-Projektes der Euregio Maas-Rhein, das unter dem Titel „N-Power“ (N wie Neighborhood), die oftmals auch neue Heimat der rund 1700 Einwohner mit 45 verschiedenen Nationalitäten neu bewusst machen, gestalten und entwickeln soll. Mit ihnen und durch sie vor allem – in einem komplexen Aktionsprogramm, das ganz nah, direkt und überaus kreativ in der konkreten Praxis, in der Kiez-Basis und ihren Perspektiven steht. Grundsätzlich, wesentlich im Miteinander, im Zusammenleben und im neuen Entdecken wie Erleben.
Auch dies war und ist eine Reise – „on the road“ vor Ort, die vor allem unter der Zielsetzung der Identitätsstiftung, der Vernetzung und vielseitigen Optimierung durch das Viertel segelt. Es geht um Öffnung, Begegnung und Aufwertung. Mit lokalen Aktivitäten, einfachen, direkt zugänglichen – vor allem mit verbindenden, kulturellen Entfaltungsmitteln. Vom kollektiven Foto-Shooting, um dem Viertel ein Gesicht mit vielen Gesichtern zu geben, über Auftritte und Events bis hin zum „Studio Néau“, einem freien Gemeinschaftsradio, das nun aus einem umgebauten Schiffscontainer funkt. Im bisher eher verschlafenen „Park Loten“, der im Rahmen des N-Power-Projektes wiederbelebt und aufgewertet wurde. Am Anfang stand ein Lagerfeuer-Fest mit einem Ideenbaum, an dem jeder seine Vorstellungen mitteilen konnte – beim „Amt für Wunschannahme und Vielleicht-Erfüllung“. Das N steht aber auch für Nach-haltigkeiten – etwa für infrastrukturelle Maßnahmen sowie für Viertel- und Landschafts-planung. Im Dezember letzten Jahres lief das Projekt aus.
Für Fleig war und ist das aber noch kein Stoppschild: „Was kann man noch machen, wenn man eigentlich nichts mehr machen kann? Was tun, wenn unter Corona kaum mehr Kontakte und Begegnungen möglich sind? Alles, was wir in den letzten Jahren hier aufgebaut haben, drohte zu erstarren…“, fragte und sagte sich Fleig, der eigentlich nie lange grübelt, sondern gleich sucht und macht.
Er fand bei einem Waffelproduzenten aus Membach das Modell „Mega“ der Marke „Aixam“ auf dem Abstellgleis. Offiziell ein Moped, ganze 11 PS stark, aber mit vier Rädern, immerhin. Wenig in Takt, zum Tuning im kulturellen Auftrag bisher noch ungenutzt, aber talentiert, ja geradezu prädestiniert. An den Armaturen klebte noch der Rost vom Waffelteig, reif zur technischen Überholung, weniger zum Überholen. Der Bauhof der Stadt Eupen setzte das süße, flotte Waffelmobil instand. Der Bürgerfonds Ostbelgien und die König-Baudouin-Stiftung gaben noch Anschub und Geld dazu. Jetzt ist der einsame Oldtimer ein Polymobil und glänzt in strahlendem Weiß, schöner als Puderzucker. Fleig ist jetzt auch der Mann mit dem Schlüssel, der sich mit ihm hin- und fortbewegt, fast fliegt…zu den Menschen – darf man in diesen Zeiten, die ja deutlich immobil sind, wohl übertreiben.
Fleig, der „Mega“-Driver, feixt ein bisschen: „Offiziell rauschen wir so mit 43 km/h dahin, bei eiligen, kulturellen Liefertrips sind es aber schon mal über 70 km/h gefühlte Lichtge-schwindigkeit. Die längsten Fahrten gingen bisher leicht im Kreis: …durch`s Viertel, durch den Park, ganz weit durch Eupen: Zielsetzung und Ziele werden aber erfüllt und erreicht. Hauptsache, er und es rollen – für die Interaktion: „…ich dachte mir, was geht jetzt noch? Wie kann man überhaupt noch mobil sein und offen bleiben, einfach da sein, zumindest kurz und sicher vor Ort etwas machen. Mit Interessierten, mit Publikum…, aber dann auch wieder schnell weg sein, wenn die Gruppe zu groß wird…unter Corona-Aspekten und so…“ Der ganz normale Fluch der Kontaktbeschränkung und des Kultur-Lockdowns. Wagnis auf Abstand, vom Waffel- zum Nähe suchenden Fluchtauto oder ein ersatzweiser Segen auf schönen, neuen Rädern?
„Fleig ´n´ roll“ war die Antwort auf die schwierige Frage nach den noch möglichen Präsenzchancen. Er kam auf die Not- und Alternativtouren mit seinem kulturellen Raumgleiter. Der Mega ist mega – etwa als mobiles Erzählcafe, als rollende Disco, Küche, Galerie, Bücherausgabestelle (etwa Zusammenarbeit mit dem Eupener Medienzentrum), Info-Büschen und Theater. Mehr Funktionen kann ein Selbstgefährt kaum haben. Zurzeit steht es in einer Garagenhalle und duftet nach Bewegung. Demnächst geht es hoffentlich wieder raus auf die Straße – mit dem kleinen, großen N-Mobil. Wer sich, andere und anderes auch so bewegen will, kann sich beim Schlüsselhalter gerne melden. Ob für oben oder unten, da oder dort. Es rockt, wenn es rollt…Und wirbt: Nicht für das Chelsea-Hotel, das hat insgesamt nur 250 Räume, Zweidrittel davon stehen leer. Die Euregio hat viel mehr Räume. Und dazu auch noch: Die schönen Orte, Wiesen und Kühe. P.S. auch: Der Kultur-Flitzer hat bisher nur eine belgische Versicherung, darf also nicht über die Grenzen kurven und ankommen. Dies kann man ja ändern, sollte man.
Weitere Infos: Benjamin Fleig, Tel. 0032 470 981184 , E-Mail: info@vornundoben.be oder benjamin.fleig@eupen.be.
Benjamin Fleig, Galerie vorn und oben
Katharinenweg 15a
B-4701 Eupen-Kettenis
Tel.: +32-(0)87-480218
E-Mail: info@vornundoben.be
Web: www.vornundoben.be
Öffnungszeiten: nur zu Veranstaltungen, nach terminlicher Absprache und jeden 1. Sonntag im Monat von 10 – 22 Uhr