Mit zukunftsweisenden Ideen für die Gesundheitsversorgung und Mobilität in der Region Aachen
Im Aachener Norden, im ehemaligen Schlachthof, drehte sich Ende September bei der Innovationskonferenz Care and Mobility 2030 alles rund um die Gesundheitsversorgung und Mobilitätslösungen der Zukunft. Gut 150 Teilnehmer*innen aus der Region und aus NRW nutzten die Konferenz, um gemeinsam branchenübergreifende Ideen zu entwickeln. „Eine anspruchsvolle Agenda, die zwei Zukunftsfelder verbindet“, attestierte Mona Neubaur in ihrer Videobotschaft dem Tagungsthema. Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW würdigte Idee und Ansatz des Aachener Projekts Care and Mobility Innovation, das den Rahmen für die Konferenz bot.
Zu Beginn präsentierten Elke Breidenbach, Region Aachen, und Isabelle Pitre, Stadt Aachen, als Leadpartner des Projektes Care and Mobility Innovation federführend verantwortlich, die bisherigen Ergebnisse. Aus dem Projekt gingen unter anderem bereits 18 branchenübergreifende Cross Innovationen hervor sowie 11 Innovationspartnerschaften, in denen Partner*innen gemeinsam Ideen umsetzen. Alle tragen entscheidend dazu bei, die Menschen in der Region Aachen auch in Zukunft medizinisch gut zu versorgen und intelligente Mobilitätslösungen für Stadt und Land umzusetzen. Dr. Sandra Dohmen von der Uniklinik RWTH Aachen brachte zwei große Herausforderungen bei diesen Aufgaben auf den Punkt, den Fachkräftemangel und eine alternde Bevölkerung: „In den nächsten Jahren werden wir mit weniger Beschäftigten mehr zu tun haben“, so die Intensivmedizinerin und ärztliche Leiterin des Innovationszentrums Digitale Medizin am Aachener Klinikum. Drei der Innovationspartnerschaften präsentierten ihre Ideen dem Konferenzpublikum – von virtuellen Lernwelten für Studierende über die Reha der Zukunft bis hin zu Shuttlebus ähnlichen Elektrofahrzeugen für die medizinische Versorgung.
Trendforscher vom Zukunftsinstitut Frankfurt geben Einblicke und Impulse
Corinna Mühlhausen, auf den Gesundheitsmarkt spezialisierte Trendforscherin vom Frankfurter Zukunftsinstitut, erläuterte 14 Entwicklungen rund um den Megatrend Gesundheit. Unter diesen Trends finden sich bspw. Plattformen, die Menschen mit gleichen (seltenen) Erkrankungen für einen Austausch zusammenbringen (Medical Matching) oder technologiebasierte Angebote, welche die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen berücksichtigen (FemTech) und so die Medizintechnik-Sparte erweitern.
Die mobile Stadt: Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Erholen im eigenen Quartier
Dr. Stefan Carsten, ebenfalls vom Zukunftsinstitut, präsentierte Beispiele für die zukünftige Mobilität. Danach werden in den Städten die Autostraßen zu Mobilitätsräumen entwickelt; der öffentliche Raum wird neu bewertet. Bereits aktuell gelten Parkplätze als der am wenigsten effizient genutzte städtische Raum. Als Beispiele nannte er u. a. Hannover, Mailand und Paris. Dort hat sich bereits die Luft verbessert, die Menschen bewegen sich mehr und die Gesundheitskosten sind gesunken. Das Lastenfahrrad ist hier neues Statussymbol. Die „15-Minuten-Region“ ermöglicht Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung etc. direkt im Quartier. Dr. Carsten nennt die Seestadt Aspern (bei Wien) und Stockholm als gelebte Beispiele einer mobilen Stadt. Er verweist auf von ehemals meist fünf (Auto, ÖPNV, Gehen, Fahrrad, Taxi) auf inzwischen ca. dreißig (u. a. Scooter, Car-Sharing-Modelle) angewachsenen Möglichkeiten der Mobilität. Dies eröffnet neue Kombinationen der Fortbewegung und macht Mobility Hubs erforderlich. Ihre Lösungen reichen von Mietfahrzeugen bis hin zu Angeboten zum Fahrzeuge laden oder Batterietausch.
Prof. Dr. David Matusiewicz, Dekan für Gesundheit und Soziales an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management und Direktor des Instituts für Gesundheit und Soziales (ifgs), forderte in seinem Vortrag unter anderem Innovationen 10-mal schneller umzusetzen und viele Ineffizienzen im Gesundheitssektor abzubauen (z. B. unverständliche Arztbriefe, den regen Fax-Gebrauch). Der Digital-Health-Experte betrachtet digitale Innovationen und auch Geschäftsmodelle für Selbstzahler-Leistungen als geeignete Ansätze, die Versorgung zu verbessern und gleichzeitig zu weiteren Fortschritten anzuregen. Bei der Umsetzung von Innovationen müssen die Handelnden regionsübergreifend denken und „Kirchtürme abreißen“.
Innovationen kein Selbstzweck
In Workshops setzten sich die Konferenzgäste mit den Tagungsthemen auseinander. Unter anderem wurde deutlich, dass Lösungen individuell zugeschnitten sein und zudem gemeinsam mit den Bürger*innen entwickelt werden müssen. Auch bei der Entstehung technischer Lösungen seien die Nutzer*innen früh einzubeziehen. Technische Lösungen können bspw. Pflegekräfte so entlasten, dass sie ihren anstrengenden Beruf länger ausüben können. Innovationspotenziale der digitalen Medizin dürften nie reiner Selbstzweck sein, sondern müssen konkrete Bedarfe erfüllen und bezahlbar sein.
Große Potenziale für Mobilitätslösungen auf dem Land
Die größten Potenziale für intelligente Mobilitätslösungen, zum Beispiel autonomes Fahren, liegen nach Ansicht der Expert*innen im ländlichen Raum. Derzeit seien noch zu viele Innovationen auf die Anforderungen im städtischen Bereich ausgerichtet. Diese müssen an den ländlichen Raum angepasst werden. Deutlich wurde, dass viele Projekte und Ideen nicht an technischen Voraussetzungen scheitern, sondern durch juristische Hemmnisse und mangelnde Akzeptanz ausgebremst werden. Die Fachleute regten an, mehr Innovationen in Form von Reallaboren auf begrenztem Raum detailliert zu erproben. So könnte beispielsweise getestet werden, ob Fahrradwege auch als allgemeine Mobilitätswege funktionieren.
Dieter Begaß, Leiter des Fachbereichs Wirtschaftsförderung der Stadt Aachen, dankte den Gästen für ihre Ideen und Beiträge: “Ihren Input werden wir brauchen. Denn eines steht fest: Wir arbeiten gemeinsam weiter an einer smarten Region und an einem neuen Projekt, das innovative Lösungen schnell in die konkrete Umsetzung bringt und in die gesamte Region überträgt.”
Auch die Geschäftsführerin der Region Aachen, Prof. Dr. Christiane Vaeßen, betonte in ihren abschließenden Worten die Perpektiven von Care and Mobility Innovation: “Die Region Aachen hat im NRW-Wirtschaftsministerium mit dem Projekt, gefördert durch das Land NRW und die EU, bereits viel Aufmerksamkeit erzeugt. Nun geht es auch darum, die Projektarbeit zum einen über die Region hinaus zu verbreiten und Impulse aus anderen Regionen aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Die Branchenkombination, gestartet als Experiment, hat sich als äußerst sinnvoll erwiesen: Der Einsatz von medizinischer mobiler Versorgung im ländlichen Raum oder von Drohnen, die mit einem Defibrillator an Bord als erste den Notfallort erreichen – das sind Cross-Innovationen aus unserer Region. Allein eine Mobilitätsveränderung entlastet das Gesundheitswesen enorm und automatisch. Dies liegt an weniger Unfällen genauso wie daran, dass die Menschen bessere Luft atmen und sich, wenn sie dies können, mehr bewegen.” Win-win also.
©Care and Mobility Innovation_Andreas Steindl Photography