13.06.2022

“The music sounds better with you”

Svenja Schieren aka Svensøn.

Beruf: DJ. Beruf: OP-Schwester. Aus: Eschweiler.

Svenja Schieren
Foto: Svenja Schieren

Engagiert: Mach` mal „Krach“ für die Aachener Club- und Kulturszene.

 

von Martin Heinen

Marek Hemmann hat ein Foto gepostet. Am 26. März in Köln.  Um ihn herum ist es ziemlich dunkel. Marek macht das V-Zeichen. Neben ihm flimmert ein Cockpit. Der Bildschirm darüber flackert verschwommen hellblau. Über der Touchfläche darunter glimmen knallgrüne Dioden. An ihn hat sich jemand angeschmiegt – zum „Gute-Nacht“- oder „Wakeup-Gruß“ für seine Crowd da draußen, die über 170.000 VerfolgerInnen zählt. 188 davon reagieren sofort mit weißen Däumchen nach oben und hellen Herzchen – auf die digitale Postkarte mit drei Zeilen: „We had a lot of fun. Thank you Cologne. What a night.“ Die Szenerie hat etwas von Sonnenaufgang oder –untergang – vielleicht kommt sie aus einem Keller oder (wie markiert) aus „Odonien“, wo immer es auch liegen mag.

Über Marek klärt seine Künstler-Website u.a. auf: „…has always preferred to let music speak for itself. Groovy House, minimalist Techno, sonic sensitivity an unbrided joy in melody unite to speak of restless days an magical nights, tearing holes in the cloud cover and carrying sun beams to the deepest cellar.” Marek ist ein bekannter DJ und Produzent in den weiten Räumen der elektronischen Musik, die manchmal eine enge Club-Location, ein richtiger oder künstlicher Strand, eine atemberaubende Skybar, eine Bude im Hinterhof, eine Zeltstadt in der Wüste oder ein Festivalgelände hinter einem dörflichen Mond sein kann. Im Irgendwo, in einer Metropole und auch am anderen Ende der Welt.

Hemmann gehört zur Meisterklasse der DJs und Komponisten in der E-Musik. Er ist kein Superstar, aber eine feste, bekannte Größe in der Szene – gerade auch als Producer. Hemmann kennt man, oder man hat ihn zu kennen, wenn man sich für elektronische Musik interessiert. Marek hat ein seltenes Glück gehabt: Auf dem Foto lächelt neben ihm eine Frau. Und zudem: Sie macht das, was auch er macht, beruflich.

Der Schnappschuss von der odonischen Bühne ist deshalb auch ein Bild von und mit einem Prominenten unter den Sternen einer Szene (und eines Marktes), deren/dessen Milchstraße mittlerweile weiter, größer und bedeutender ist – als viele andere Planeten (Segmente) im Pop-Universum. Das Live-Foto mit ihm – im Motiv als Team-Duo bei der Arbeit – ist ein Fakt, aber auch eine Auszeichnung, zeigt Respekt und kollegiales Miteinander auf Augen- bzw. Pulthöhe. Dass er es teilt, bedeutet vor allem auch, dass potentiell ein paar Hunderttausend Unbekannte und/oder Freunde drauf- und mitschauen – und damit auch die Bekanntheit des Partners im Bild binnen Sekunden eine neue Galaxie erreichen kann. Meist sind dies Kollegen, hier nun eine Kollegin, also eine Partnerin.

Nur ein Bild, oder mehr: Vielleicht wirkt es auch nur für ein paar Minuten…oder als Status und Beginn einer Karriere-schönen Fortsetzungsstory.

Hinter ihm wie ihr steht (meist) nur eine Wand, vor ihnen lauert und wartet eine hoffnungsvolle, eigentlich intransparente Masse, die in Wellen erobert, gehalten und geleitet werden muss…heute erstmal von ihr, bevor er – auch als bekannter Meister – dann übernimmt. Gelingt ihr die direkte Anziehungskraft in diesem Inselraum nicht relativ rasch und andauernd, stocken die Impulse und damit die gewünschte, kollektive Bewegung, führt man nicht möglichst alle, die für einen selbst anonym und im Dunklen bleiben, sicht- und hörbar magnetisch zusammen, dann ist man – schneller, vergänglicher als jeder Foto-Click – sehr, sehr einsam.

Gnadenlos – so einsam wie ein Stick in einer Bierpfütze, eine Vinyl-Platte im Toaster oder ein Laptop vor der Erfindung der Steckdose. Aus dem Foto von den beiden spricht aber weder die Angst des DJs vor dem falschen Track oder einem absichtlichen Stromausfall heraus, weder eine Hackordnung unter Kollegas, noch ein Hauch von Nervosität und Scheitern vor Publikum, sondern das Gegenteil davon.

Ein zweites, zeitnahes Foto – auch aus dem beruflichen Space – zeigt insgesamt 11 Personen, die gut gelaunt dreinschauen und in einer eher urigen Gaststätte an einer Art lockerem Stammtisch sitzen. Es ist wohl ein Warmup für eine anstehende Veranstaltung – im „Seven“ in Gera. Das Bild zeigt 11 Personen: 10 Männer und eine Frau.

Eine schöne Reise, nur um zwei Jahre verschoben.

Eigentlich sollte es schon im Frühjahr 2020 losgehen – die Reise mit Plattenkoffer oder einem goldenen MP3-Stick hinaus –  der Übergang von den eher spärlichen, lokalen Räumen in der Provinz in die weitere und weite Welt der elektrifizierten Auftrittsmöglichkeiten. Zumindest es mal versuchen, ab und zu mal eine Klasse oder vielleicht gleich auch mehrere Stufen und Clubs höher spielen…Vorsichtig und auch noch ängstlich genug, aber auch selbstbewusst, neugierig und mutig. Überehrgeizig, sich selbst überschätzend und arrogant – nicht.

Es gab schon vereinzelte, zufällige Kontakte vorher. Bis auch jemand in Crimmitschau (in der Nähe von Zwickau) ein Set auf „Soundcloud“ hörte. Aus dem Umfeld von Mathias Kaden, ebenfalls ein zentraler Akteur im Elektro-Fach – als DJ und als Producer, zudem auch seit 2014 neben Oliver Frisch Inhaber der Booking Agentur „Paracou“, die eine Reihe elektronischer „ScheibenreiterInnen“ auf nationaler wie internationaler Ebene betreut – u.a. DAPAYK, Luna City Express, Donna, Franz!, Jamy Wing, Iris Menza und eben auch Marek Hemmann.

„Paracou“ – vor allem mit den Größen wie Kaden und Hemmann – spielt in der Bundesliga und auch in der Champions League mit. Der Vergleich klingt vielleicht schräg, er ist es aber nicht. Beide Bereiche verfügen über ein riesiges Massenpublikum, hier wie dort werden in der Spitze Millonengehälter bezahlt und Milliarden Euro umgesetzt. Unten eher nicht, aber eben ganz oben.

„Paracou“ bedeutet vor allem auch Renomee, weil Kaden und Hemmann quasi zum historischen Erbgut der deutschen DJ-Elektronik-Szene der letzten 20 Jahre (und davor) gehören. Allerdings sind sie nicht von gestern, sondern machen und produzieren nach vorne. „Paracou“ ist vielleicht kleiner als andere Agenturen, aber auch feiner, persönlicher – und wohl auch idealistischer im „Betriebsklima“.

Operation: Nichts ging mehr.

2020 sollte auch ihr Spiel in der höheren E-Zone beginnen. Viele, vielleicht alle Tour-Straßen, Club-Türen und -Fenster schienen plötzlich ziemlich offen. Ihr Plattenkoffer, manchmal auch nur mit Laptop und mit ein paar Sticks bepackt, stand heißen Rollen bereit. Bevor es anfing, war es aber auch schon zu Ende. Corona, dieses böse Lied als ganz schlechter Dauerhit, verhagelte alles. Alles zu, nichts ging mehr. Zu- und weggeschlossen, quasi nur noch als DJ im „Home Club“ für sich selbst „unterwegs“, Ausnahmesituation – auch in ihrem Krankenhaus, dem St. Antonius Hospital in Eschweiler, wo sie OP-Schwester ist.

Zwei Jahre gab es fast nichts zu tun, also als DJ; im Krankenhaus war es natürlich ganz anders. Eine schlimme (Aus)Zeit, hier wie dort, auch wenn sie ihre Rolle als DJ nur vor freien Tagen, an diversen Wochenenden oder in der Urlaubszeit ausüben kann. Eine Nebensache ist das Auflegen für sie deshalb aber nicht. Es ist kein Hobby, es ist nicht semi-, es ist professionell.

Ein Garten Eden für´s elektronische Happening.

Seit ein paar Monaten sind die Clubtüren wieder offener. Vieles, fast alles geht wieder. Zum Beispiel beim gemeinsamen Auftritt mit Hemmann im Kölner „Odonien“ im März (siehe oben), dem rheinischen Mekka auf der elektronischen Roadmap, wo eigentlich nur die Besten auflegen – oder der Nachwuchs, von dem man annimmt, dass auch er/sie/es irgendwann zur Spitzengruppe gehören könnte. Ein „Hot-Spot“ mit tausenden Pilgern – in der Woche, natürlich besonders an Wochenenden. „Odonien“ ist auch eine phantasievolle Welt an sich. Eine Art „Garten Eden“ auf postindustriellem Gelände und Raum – für`s elektronische Happening.

Es gibt nie eine zweite Chance oder eine Zugabe.

Willkommen also in der höheren Spielklasse, die ständig weiterreist. Nächster Stopp: Gera – im „Seven“. Inklusive Gruppenfoto zum Auftakt (siehe oben) – und sie – als einzige Frau dabei. „Das war schon ein unglaubliches Erlebnis, einfach toll. Ich war total happy, wie mein Auftritt gelaufen ist“, sagt sie später. Eineinhalb Stunden volle Anspannung, ein musikalischer Trip, eine wogende Gruppenfahrt, ein offener Tanz auf unbekanntem Terrain, ein Dialog mit Beats, eine rauschende Story in Bewegung – war das. Und ist es eigentlich immer.

D kommt auch von Dirigent, J kann auch für Joy/Freude stehen und K wie Key für pausenlose Kommunikation, aufgeladen und komprimiert. Aufsaugen, erspüren, den Klang antreiben, ufern lassen, vorwegnehmen. Höhepunkte kreieren, auf- und absteigen lassen, anheizen und beruhigen. Es ist ein Ritt mit Discs, Rillen, digitalen Spuren und Klängen, bei dem man auch rasant aus der Kurve fliegen kann. Bis zum letzten Track: Es gibt nie eine zweite Chance – und auch nie eine Zugabe.

Dann: Ende. Der Sekundenzeiger des finalen Songs zuckt die letzten Momente in Richtung Null. Der nächste Player am Pult mischt sich schon hinein. Manchmal gibt es auch eine kurze Pause dazwischen. Im schönsten, anerkennenden, auch ekstatischen Fall brandet es noch einmal richtig auf. Hochgestreckte Arme, schrille Pfiffe aus Anerkennung und klatschendes Rauschen im Schlussregen der gemeinsamen Transpiration, wenn es (hier sie) Funken geschlagen bzw. geschneit hat. Der Regler sinkt, das Adrenalin langsam auch. Glückshormone haben auch Gefühle, können tanzen, wirbeln und winken. Auf der perfekten Welle entlang, die man komponiert und mit Sounds auch erzählt hat. Vor allem, wenn man dann von oben, aber nicht herab… sagen kann: „…die waren…auch… total happy. Schön, einfach nur schön…“

Man weiß nicht, was einen hinter der Stahltür zum Tempel erwartet.

Es kann dann schon mitten in der Nacht sein. Und mit dem ersten Bimmelzug geht es am frühen Morgen gleich auch weiter – zur nächsten, angesagten Clubanlage. Reiseziel: Berlin, der Osten, der schon mal wilder war, aber es manchmal immer noch ist. Ins Land von „Sisyphos“ – eine Institution – auch mit Open-Air-Space wie die legendäre „Bar 25“, inklusive Hinterhof- und Strandgefühl, freies Phantasie-Land, elektrisches Post-Woodstock. Mit einem riesigen Stahltor als Eingang ins Tag- und Nachtgänger-Paradies, in das zwei überdimensionierte Enten gelötet wurden. Eine Top-Adresse, ganz weit oben im Berliner E-Zirkus. Und: Immer mit den besten DJs. Rund um die Uhr geöffnet – am Wochenende.

Sonntagmittag, so um 12 Uhr etwa: Man weiß nicht, was einen hinter der Tür zum Tempel erwartet. Vielleicht hängen dort nur noch ein paar Verschlafene, Verlorene, Vertanzte oder Verstrahlte herum. Oder aber: „…es war brechend voll. Der Druck haut Dich fast um. Nicht die Lautstärke, sondern die Atmosphäre, die Stimmung…“

Sturmstärke 10, die Wellen laufen optimal zusammen: „…die DJ-Frau, die vor mir dran war, spielte extrem treibenden Techno. Da musste ich meine Tracks, die ja eher disco- und nu-discohaft orientiert sind, mal ganz schnell umsortieren.“ Kurzer Angstschweiß mit Sticks. Und mit kollektivem Lohn: „…ich habe dann schon kurz gedacht, hier gehe ich unter. Ich schaffe es nicht, der Anschluss wird ganz, ganz schwierig. Aber es hat geklappt. Die haben mich wunderbar aufgenommen.“ Also: Einfach nur g… wie gut. Für Svenja Schieren (33) – alias Svensøn.

„Music sounds better with you“: Du hörst, was Du bist – Oder: Jede Umlaufbahn beginnt in einem Kaff.

“Ooh, baby, I feel right, the music sounds better with you, love might bring us back together” – mehr Text hatte der Song nicht, mehr brauchte er wohl auch nicht. “Music sounds better with you“, veröffentlicht im Sommer 1998, war eine der genialsten Soundschleifen der elektronischen Zuckerwatten-Maschine, die sich über 4.23 Min. ständig als einzige Megawelle wiederholt, aber doch nie am Strand anzukommen scheint oder einfach wegblubbert. Das phänomenale Einzelstück des französischen Trios „Stardust“, an dem auch Thomas Bangalter (mit Kunst-Glatze und noch ohne Helm) von „Daft Punk“ beteiligt war, ging nicht nur im Video-Clip durch die Wolken und rauschte um sämtliche Küsten, Städte und Himmel der Clubs, Radiostationen und Raves.

Die Musik, die mit Dir besser klingt, machte perfekt reduzierte Liebe zwischen Disco/Funk-Anleihen der Seventies und elektronischen Spielzeugen, basierend auf einem Sample von „Fate“ (1981) von Chaka Khan. Das kurze Funk-Riff taucht nur ganz am Anfang, eher versteckt, im originalen Song auf. Sternenstaub also, den bisher wohl niemand herausgehört hatte, außer eben.

Im Clip dazu bastelt ein Junge am heimischen Wohnzimmertisch ein ziemlich großes, orange-rotes Segelflugzeug, das er über eine provinzielle Hügellandschaft fliegen lässt – so hoch, dass es auf einer Wolke, der künstlichen Bühne der „Starduster“, landet. Natürlich mit Happyend: Die drei disco-liken Astronauten werfen den geliebten Flieger wieder zurück. Klang, Sehnsucht und Liebe – so einfach ist das – in 4.23 Minuten oder für die Ewigkeit. Im Clip – wie auch im Leben und in der Sehnsucht von Svenja Schieren und von Svensøn.

Das Lied vom besseren Klang, kaum technoid oder housy, war eine helle Motte, ein Zeitzeichen und Türöffner – und auch für sie ein Schlüsselsong. 1998, da war sie gerade 9 Jahre alt. Ein Mädchen aus dem Wendejahr, tatsächlich. In der Filmszenerie (siehe oben) kann man eine amerikanische Stadt in der Mitte-von-nichts erkennen.

Der Himmel über einem Örtchen mit –nich am Ende

Das dörfliche Idyll von ihr war ein Örtchen mit –nich am Rande der rheinischen Tiefebene und des Venns, heute mit 59 Einwohner pro Quadratkilometer, 213 m.ü. NHN, immer noch.

Hügel gibt es da auch, den Bach der Omer – und früher sogar mal ein Festival für Nachwuchsbands namens „Woodstöckchen“. Svenja wächst in einem musikalischen Haushalt auf. Der Vater spielt Flügelhorn, zuhause und in der Dorfkapelle. Ansonsten ist ihre Sozialisation in und mit Musik nicht ungewöhnlich: Man hört das, was gerade rechts und links gespielt wird und auch vielleicht noch jenes, was die Eltern als schöne Erinnerung mitbringen, als sie Teenie und junge Erwachsene waren – hier wesentlich die Musik der 70er, also Disco, Schlager und wohl auch das, was Kapellen so gerne spielen.

Musik ist geschlechtsneutral, oder? Nicht einsam, aber meist allein unter Männern, DJ-beruflich.

Musik ist geschlechtsneutral, oder? Immer, manchmal, je nach Segment? Eines steht fest: Der Bereich der elektronischen Musik ist vor allem männlich geprägt, fast ausschließlich. Hinter und vor den Kulissen, einfach überall.

Würde man(n) nach einer Frau suchen, die etwa auch DJ ist, könnte ein Blick z.B. die TOP-100-Liste der DJs, die das internationale Magazin djmag regelmäßig herausbringt, naheliegend sein. Die Auswahl könnte aber sehr beschränkt, also enttäuschend ausfallen. Man träfe nämlich fast nur auf Männer: David Guetta, Martin Garrix, Armin van Buren, Steve Aoki, Tiesto, Paul van Dyk, KYGO, Calvin Harris…Auf Platz 18 taucht dann das weibliche Duo „Nervo“ auf. Auf Platz 23 folgt „Charlotte de Witte“, die sich in ihrer Anfangszeit allerdings unter dem männlichen Pseudonym „Raving George“ verbarg. Dann gibt es da noch Peggy Gou (Platz 38), Mariana Bo (40), Amelie Lens (44), Alice Wonderland (Platz 49), Nina Kravitz (Platz 54), Nora En Pure (59), Mattn (67), Christina Novell (Platz 91), Kaka (Platz 93). Das war`s dann aber auch schon; es sind insgesamt nur elf Frauen.

Im Vermögensranking der Szene trifft man nur auf Männer: Calvin Harris mit 215 Mio. Euro, David Guetta mit 65 Mio. Euro, Steve Aoki mit 65 Mio. Euro, Tiesto mit 135 Mio. Euro oder den deutschen DJ Paul van Dyk mit 54 Mio. Euro. Statistiken zu Auftrittshonoraren sind nicht zu finden. Die Durchschnittshonorare je Auftritt liegen in der Spitzengruppe bei 100.000 Euro. Ebenfalls im Durchschnitt absolvieren die Top-Akteure 80 bis 100 Gigs pro Jahr, manche auch bis zu 200. Weitere Einkünfte häufen sich durch Merchandising, eigene Produktwelten, Streaming-Verdienste und durch den Verkauf von Musikträgern an. Zudem beliefern diese Spitzenverdiener längst auch die übrige Pop-Welt mit Beats und Songs – etwa Superstars wie Shakira, Rihanna oder Bejoncé usw.

Zurück auf Anfang – und auf eine andere Ebene: Für manche ist und bleibt Musik eine Nebensache, für andere wird sie zum zentralen Antrieb, zum Lebenselexier und zur kosmischen Reise, zur andauernden Selbstreflexion, zur Jagd. „Erst später registriert man, dass ein bestimmter Song – hier eben `Music sounds better with you` – für eine Zündung sorgt, die einen antreibt, ständig nach neuer Musik zu fahnden, neugierig zu suchen und zu finden…“, skizziert die 33-jährige eines ihrer Initialerlebnisse auf dem Weg zum/zur DJ als Frau. Und damit auch: als ganz seltene weibliche Ausnahme von der männlichen Regel.

Seltsame Zustände: Ohne technisches Faible droht der Kurzschluss in der Karriere.

Dako Gnjato, einer der Macher des ehemaligen Elektro-Festivals „Seltsames Verhalten“, das mit bis zu 10.000 Besuchern auf dem Flugplatz Merzbrück organisiert wurde, kann auch nur mutmaßen, warum Frauen in der Szene derart unterrepräsentiert sind: „…vielleicht liegt es daran, dass Jungen immer noch eher technik-affiner als Mädchen sind. Dieses Interesse und diese Fähigkeiten sind aber grundlegend, wenn man in diesem Bereich – gerade auch mit Kompositionen und Eigenproduktionen – etwas erreichen will. Ich habe jetzt keine Statistik im Kopf, welche Gruppe mehr oder weniger ein Instrument lernt. Kommt dazu aber später kein technisches Talent, Wissen und Können hinzu, wird es mit der Karriere im Elektro-Sektor schwierig, fast unmöglich.“ Und er fügt hinzu: „Bei unserem Festival sind viele nationale, weibliche Top-DJs von Bedeutung aufgetreten – wie etwa Ellen Allien, Monika Kruse oder Rebecca. Übrigens auch Svenja, die in der Aachener Region eine positive Ausnahme darstellt. Fakt ist, es gibt nur wenige Frauen in diesem Fach. Es hat sich etwas verbessert, aber die Szene ist immer noch wesentlich eine fast reine Männersache.“

Von hier aus, trotzdem: Erste Anlaufpunkte, Erfahrungen und Auftritte.

Das gilt gerade auch für die lokale Ebene: die ersten Anlaufpunkte ihrer Reise in Sachen „lost in music“ waren die in den 2000er-Jahren aufkommenden Party-Reihen im Sektor von House&Techno in Aachen und im Umland – wie etwa „Golden Aix“, „Housegeflüster“, „Inner Kitchen“ und dutzende andere. Noch als Besucherin, die es spannend fand „…ganz andere und immer wieder neue Musik in Gruppen zu erfahren, die regelrecht elektrifiziert waren.“

Und sowieso: Erst die DJs im elektronischen Knöpfedrehen konnten aus Partys Konzerte zaubern, wurden selbst zum Komponisten, Improvisateur, Gestalter und Meister des Raumes und des „Movements“. In Locations, die alle kleine oder größere Terminals waren. DJs als Spitzensolisten und später dann auch als Spitzenverdiener. Bei der Love Parade 1991 gab es noch ein Einheitshonorar von 200 Mark, heute liegen die Top-Einkommen in der Branche bei rund 50 Mio. Dollar pro Jahr. Verlockend auch, Musik zu machen und tausende, euphorische Fans bespielen zu können, ohne vielleicht ein „richtiges“ Instrument gelernt zu haben.

Ein Instrument kann auch etwas anderes sein.

 „…bestimmte innere Klingeltöne, die einem sagen, dass man genau dies auch mal versuchen oder sogar unbedingt machen sollte, gab es bei mir immer. Ich habe sie vielleicht nur überhört, war wohl noch zu schüchtern und nicht mutig genug. Es kam auf jeden Fall zeitverzögert an…“, beschreibt Svenja ihren Weckruf in Zeitschleifen, der in Aktionen überging (und auch die Orte dazu fand).

Als DJ ohne –jane. DJs, die guten, die besten, sind immer auch MusikerInnen, ohne jemals ein (klassisches) Instrument angefasst oder ein Konservatorium besucht zu haben. Sie sortieren keine Songs, sie entschlüsseln, vernetzen und beamen sie an neue Orte (oder umgekehrt). Und/oder: Erfinden sie.

Ihre Lokale waren ab 2017 – z.B. der „Musikbunker“, das „Hotel Europa“, die „Monoheidi“ und diverse Festivals im Aachener Tal bzw. Sektor. Davor stand: “Ich habe vorher locker ein dreiviertel Jahr geübt und geübt. Noch digital, also mit zwei Pioneer-Playern XDJ-700. Und mit der Unterstützung von befreundeten DJ-Kollegen.“ In relativ kurzer Zeit hatte sie sich ihre Fanbase in der Region erspielt – über fast sämtliche Stationen, die es hier so gibt oder gab. Immer mit dem Kernmotiv verbunden: „Es klingt schlicht und simpel, aber ich will die Menschen mit meiner Musik glücklich machen – und bei ihnen herauslesen, welchen Input ich dazu leisten kann.“ Punkt. Klingt nach heilender Tätigkeit, auch. In dem einen Beruf wie im anderen.

Relativ schnell zog sie dann auch schon weitere Kreise, damals noch ohne Booking-Agentur: z.B. mit Auftritten in Clubs nach Köln, Bonn, in NRW, zum „Strabi“-Festival nach Dormhagen oder zum „Gebesee“-Festival nach Erfurt. Mit und mit stellte sie ihre Sets auch bei „Soundcloud“ ein, oder wurde von professionellen Genre-Portalen um Beiträge gebeten.

 Musik im Non-Stop-Modus.

 Ihre Sets sind variantenreich, vor allem auch disco- und nu-disco-geprägt, immer auch schwebend und treibend – funky, housy, fusionhaft, genügend vokallastig, was auch Ethno- und World-Betonungen, Indie und Rock nicht ausschließt. Heißt auch in der kompakten Vorbereitung: Das Hören, die Suche und die Auswahl der Musik ist bei ihr Übung, Leidenschaft, Handwerk und Kreativität im Non-stop-Modus. Sehnen und suchen, hören und finden. Jagen, sammeln, selektieren – dann kommunizieren, kompakt ausspielen. Auch im Mix gibt es keine Pause.

Reisepunkte.

Nächste Stationen ihrer Tour waren und sind: „Sommernachtstraum“ in Kassel (am 11. Juni), „Pier-Session“ in Binz (24. Juni), „Ritter Butzke“ in Berlin (1. Juli), „Westhafen“ in Leipzig (2. Juli) und „Seeliebe“ in Hanau (16. Juli).

Aber.

Aber: Im Line-up des regionalen Aachener Festivals „KIMIKO“– mit über 40 Bands und DJs, das Mitte Juni am Campus Melaten stattfand, suchte man sie allerdings vergeblich. Sie war nicht weg. Es war wohl nur niemand da, der einen neuen Wecker mit Klingeling-Funktion und Ohren hatte, um vielleicht…auch…hätte ja sein können…an sich schon…oder wäre eigentlich, irgendwie passend…naheliegend…oder, oder so…gewesen. Nö, nicht. Nicht dabei.

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